nachruf : Werfer mit fataler Flugleidenschaft
In der Umkleidekabine der New York Yankees, des berühmtesten und traditionsreichsten Baseballteams der Welt, wird immer ein Platz frei gehalten. Seit 1979 ist das so. Seit dem Jahr, in dem der damalige Teamkapitän Thurman Munson am Steuer seines Flugzeugs verunglückte.
In dieser Saison war wieder ein Pilot bei den Yankees eingestiegen: Cory Lidle. Der Werfer bekam in der Katakombe des Yankee Stadium den Platz gegenüber von Munsons Platz. Seine Teamkollegen fragten ihn immer wieder, ob das Fliegen nicht gefährlich sei. Klar sei das Fliegen gefährlich, antwortete Lidle dann, aber auch nicht gefährlicher als Autofahren. „Es macht Spaß, und die Gefahr kümmert mich nicht.“
Am Mittwoch ist Cory Lidle gestorben. Nur acht Monate nachdem der 34-jährige Yankees-Profi die Fluglizenz im Schnellverfahren erworben hatte, wurde ihm seine große Leidenschaft zum Verhängnis: Er krachte mit seinem Flugzeug in das Bel-Air-Gebäude im New Yorker Stadtteil Manhattan. Mit an Bord war sein Fluglehrer Tyler Stanger, der ebenfalls ums Leben kam. Offenbar hatte der 2002 gebaute Viersitzer vom Typ Cirrus SR 20, den Lidle für 187.000 Dollar erwarb, Treibstoffprobleme. Noch unklar ist, warum die hochmoderne Fallschirmvorkehrung, die den Flieger sicher zu Boden bringen soll, nicht funktionierte.
Lidle wechselte erst im August in die Metropole, nachdem sein Team, die Philadelphia Phillies, nicht die World Series der besten acht erreichte. Ohne Erfolg: Er verletzte sich am Finger, kam nur wenige Male für die Yankees zum Einsatz. Und dann flog der Titelfavorit gleich in der ersten Runde der Play-Offs völlig überraschend gegen die Detroit Tigers raus.
Der Werfer war in der Major League Baseball kein herausragender Spieler. Keiner für die Hall of Fame, sondern eher grundsolide. Seine Bilanz seit Karrierebeginn 1997: 82 Spiele gewonnen, 72 verloren. Der gebürtige Kalifornier spielte in den neun Jahren bei sieben Teams – darunter die Tampa Bay Devil Rays, die Oakland Athletics, die Toronto Blue Jays, die New York Mets und die Cincinnati Reds. Und er war: schlampig. Bei den Oaklands nannten sie ihn „Snacks“, weil er während eines Spiels schon mal einen Whopper oder ein Eis verdrückte. Und Phillies-Teamkollege Arthur Rhodes beschimpfte ihn als „Auswechselspieler“. Er habe keinerlei Arbeitsmoral und denke nur ans Zocken und ans Fliegen. Ungeachtet all dieser Schwächen verdiente der Pitcher 3,3 Millionen Dollar pro Spielzeit.
Lidle hinterlässt seine Ehefrau Melanie Varela und seinen sechsjährigen Sohn Christopher. Und er hinterlässt einen weiteren leeren Platz in der Kabine der Yankees. THILO KNOTT