mutters insekten von EUGEN EGNER :
Die Insekten hatten den größten Teil von Mutter weggefressen, das Abdomen und die Rückfront und besonders das linke Bein fehlten schon. Sie musste sich wohl oder übel auf prothetische Behandlung einstellen. Bei der Ersatzkasse gab man ihr Geld sowie einen Plan, den sie vom Amtsarzt abzeichnen lassen sollte. Letzterer sah den Plan misstrauisch von hinten und vorne an, schließlich knurrte er: „Der ist zu schwer, den kann ich nicht abzeichnen. Quader oder alte Männer mit Bart sind leicht, bringen Sie mir etwas in der Art.“
Die Insekten, hirnlos wie Insekten, lachten, als sie das hörten. Sie waren nämlich nicht einfach weitergezogen, nachdem sie Mutter teilweise gefressen hatten – nein, sie saßen noch immer in ihrem Innern und fraßen weiter! Durch ein Loch am rechten Ellenbogen waren sie eingedrungen. Zwar hatte Mutter in stundenlanger Nachtarbeit und in einer unbezahlten Sonderschicht einen vertrockneten Insektenarsch mit der Pinzette herausziehen können, doch hatte dies absolut nichts geholfen.
Das Loch in Mutters Ellenbogen interessierte den Amtsarzt, und er trug sich mit dem Wunsch, es abzuzeichnen. Damit tat er sich aber schwer. Fast jeder zweite Strich verrutschte ihm, weil er nach kleinen Fliegen schlagen musste, die versuchten, in seine Nasenlöcher und seinen Mund einzudringen. Sie waren Nachkommen der Insekten, die drinnen alles wegfraßen, und kamen aus Mutter herausgeflogen, aber nicht aus dem Loch im Ellenbogen, sondern aus ihren Poren, und da gab es einige. Schließlich gab der Amtsarzt auf.
„Und was mach ich jetzt mit dem Plan?“, wollte Mutter von ihm wissen, „wenn Sie ihn nicht abzeichnen, ist mir jedwede prothetische Behandlung verwehrt. Dann nützt mir auch das Geld von der Ersatzkasse nichts.“ – „Zuerst müssen die Insekten raus“, bestimmte der Amtsarzt. Er fing mit dem Rauchen an, die Versuchung war einfach zu groß, und blies den Qualm ungezählter Zigarren in Mutters Ellenbogenloch.
Den Insekten verging das Lachen, denn nun mussten auch sie zu rauchen beginnen, allerdings mit dem Unterschied, dass sie es sich vorher nicht mühsam abgewöhnt hatten. Sobald sie die neue Gewohnheit beherrschten, lachten sie und fraßen rauchend auch Mutters Gehirn weg, sodass die gute Frau fortan mit den Insekten denken musste, wenn sie denken wollte.
Der Amtsarzt erlebte diese Entwicklung nicht mehr, denn die winzigen Fliegen trieben ihn in den Tod. Nachdem er keinen Rauch mehr zum Loch in Mutters Ellenbogen hereinblies, mussten die Insekten in ihrem Kopf zusehen, wie sie auf andere Weise an Nikotin und Teer kamen. Sie zwangen Mutter zum Rauchen, und das Geld von der Ersatzkasse drohte im Handumdrehen für Zigarren draufzugehen, von prothetischer Behandlung war gar keine Rede mehr. Doch bevor es verbraucht war und die Insekten Mutter in die Beschaffungskriminalität treiben konnten, hatten sie auch den Rest von ihr, sogar das Loch im Ellenbogen, weggefressen. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: von Mutter waren nur noch die Insekten übrig. In ihrer Nikotinsucht versuchten sie, sich für Mutter auszugeben und bei der Ersatzkasse weiteres Geld zu erschleichen, aber damit hatten sie kein Glück.