musik ist der beste sympathiemesser der welt:
von FRANK SCHÄFER
Es sei kompletter Unsinn zu behaupten, „eine Beziehung hätte Zukunft, solange die Plattensammlungen ganz und gar nicht harmonisieren und die Lieblingsfilme sich nicht grüßen würden, wenn sie sich auf einer Party träfen“, hat der kluge Nick Hornby in seinem Roman „High Fidelity“ festgestellt. Für die Wahrhaftigkeit dieser These spricht, dass sich ohne weiteres Ableitungen und Varianten formulieren lassen, die genauso unmittelbar einleuchten. Um es hier gar nicht erst ins Akademische schwappen zu lassen, gleich zu den Beispielen.
Wenn man etwa bei einem Fest, zum Beispiel auf der Konfirmation des Neffen, eine alte Bekannte wieder trifft, zum Beispiel die just volljährige, kaum wiederzuerkennende, nämlich rattenscharfe Cousine zweiten Grades, der man vor einem guten Jahrzehnt noch aus Petzi-Büchern vorgelesen hat, dann scheint sich diese langweilige Familienfeier auf einmal ganz prächtig zu entwickeln. Ein Weile jedenfalls, bis . . . – ja bis zum Dialog: „Sag mal, was hörst’n du so?“ – „Ach, eigentlich alles. Was grad so im Radio läuft.“ Und dann bittet man den freundlichen Ober um eine neue Flasche Wein, steckt ihm einen Zwanzigmarkschein zu und ersucht flehenden Blickes, den Nachschub ja nicht stocken zu lassen . . .
Oder man trifft auf einer „Germanisten-Fete“, auf der sich männliche Studenten aller Professionen besonders wohl fühlen, weil hier endlich mal Weibsvolk zugegen ist, man trifft also jemanden aus diesem Verein, der sich dann auch noch „Jump“ wünscht, und denkt: „Na, immerhin.“ Und fragt: „Hey, wenn du Van Halen hörst, dann magst du vielleicht auch Metallica?“ – „Ach nee du“, sagt die junge Frau, „eigentlich nicht, aber die haben da ein Stück, das is ’n bisschen ruhiger, ich weiß jetzt nicht wie das heißt, aber das finde ich echt gut. Weißt du, welches ich meine?“ – „O ja“, sagt mancher dann, weil er kein Rückgrad hat oder die Fantasie ihm Dinge vorgaukelt, die ihn schier um den Verstand bringen, „o ja, und du, stell dir vor, das ist mein Lieblingslied, ist das nicht ein Zufall?“ Der Realist allerdings, und man muss nur ein paar Germanisten-Feten mitgemacht haben, der Realismus kommt dann von ganz allein, der Realist jedenfalls kippt nun sein Billig-Getränk, Germanisten sparen ja gern bei den Getränken, und seine Stimme wird bedrohlich leise: „Ja, verdammt, ich weiß, was du meinst, und der Gedanke daran macht mich wütend, sogar ziemlich wütend!“ Nun also, was ich damit sagen will: Es gibt keinen täuschungssichereren, unkorrumpierbareren Sympathie-Indikator als die Musik. Man ist, was man hört resp. gehört hat. Und wenn einer in all den Jahren das komplett Falsche gehört hat, ist halt nichts mehr zu machen.
Wie nun aber die nächste Frage aussehen muss, kann sich jeder denken. Gut, ich sage ihnen, was das Richtige ist. Wenn Sie etwas Gutes summend durchs winterlich überheizte Kaufhaus trödeln und ein ganz fremder Mensch plötzlich liebevoll Ihre Hand nimmt und Ihnen einen langen zärtlichen Blick zuwirft, dann, ja dann liegen Sie goldrichtig!
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