montagsmaler Schon wieder so dunkel: Lohnarbeitstechnisch gezwungen
November, Zeit des Schlendrians. Komisch, wie sich alles im Winter nach hinten verschiebt. Vor zwei oder drei Wochen hatte ich angefangen, immer später ins Bett zu gehen. Normalerweise ist zwei normal, doch dann ergab es sich so, weil Freunde Spätschicht hatten und erst um zwei nach Hause kamen, weil man umgezogen war und das Leben noch durcheinandriger als gemeinhin. Ein paar halbe Nächte hatten wir dann lange zusammengesessen in der Nacht. Und irgendwie hatte ich dann so angefangen, mich ganz allmählich auszugrooven aus den normalen Tagesabläufen mit viel Milch und wenig Kakao. Das geht einfach. Es läuft immer so, dass man am Abend zunächst etwas schläfrig wird und ab halb eins dann eben plötzlich wach. Manchmal treffe ich mich dann mit Leuten, die zeitlich ähnlich strukturiert sind, meist hänge ich eher so rum, gucke Afghanistan wie früher Big Brother und dann ist es immer schon vier – o je! – und zwölf, wenn man wieder aufsteht.
Morgens vermeide ich es, zum Bäcker zu gehen, der seit sechs schon am Tresen steht, sondern gehe gleich in den „plus“-Markt oder in die Markthalle, in der meist der Nachbarhausmeister mit seinem obligatorischen Bier am Imbiss steht und mich mit einem lustigen „hallo Nachbar“ zu begrüßen pflegt. Nach Pommes/Fleischspieß/Ketchup kann der Tag beginnen. Zwei Stunden am Schreibtisch, dann geht man spazieren, setzt sich wieder an den Schreibtisch, um sich vor der kommerziellen – haha! – Arbeit noch ein paar Tagebuchnotizen zu machen oder BBC zu gucken oder zu gucken, was Matthias Bröckers wieder so an Verschwörungen in Sachen WTC gegooglt und bei Teleopolis veröffentlicht hat. Abwaschen ist auch ganz schön und kurz nachdem der Tag begonnen hat, ist es dann schon wieder dunkel ohne dass man Geld verdient hätte.
Der frühe Abend ist so schläfrig wie der späte Nachmittag der anderen. Nun noch mit geldorientierter Arbeit zu beginnen, geht definitiv nicht. In der Wohnung ist eh noch so viel Kleinkram zu machen, Sachen zersägen bringt zum Beispiel Spaß und sie dann im Ofen zu verheizen. Dann steht Kollege B. im Zimmer und man spielt noch ein wenig Schach. B. ist eigentlich immer schon arbeitslos, geht seit Jahren erst um sieben Uhr morgens ins Bett und lässt 15-Uhr-Verabredungen wegen zu früh gewöhnlich ausfallen. Kollegin A. darf man nicht vor zwölf anrufen und meine ehemalige Mitbewohnerin, in deren Zimmern ich nun hause, stand, wenn sie lohnarbeitstechnisch nicht gezwungen war, immer erst um eins auf.
Die Bekannten begründen ihr Nachtmenschentum meist biologisch und betonen, sie seien nun mal Nachtmenschen, hätten niedrigen Blutdruck o.ä. Ich selber weiß nicht, ob ich Tag- oder Nachtmensch bin. Einerseits rutsche ich im Winter gern in die Nacht wie in eine kuschlige Höhle, andererseits kann ich direkt nach dem Aufstehen am besten arbeiten und fühle mich am besten, wenn ich zu wenig schlafe.
Egal. Gestern dann mal wieder um Mitternacht ins Bett gegangen, weil der Neue gestern eingezogen war. Wie es sich gehört, war der Umzug von frühen Räuschen begleitet, die sich so dahinzogen. Ein nüchterner Umzug wäre so feige, wie Geburtstag nicht zu feiern. Noch unbekannte Menschen standen oder saßen zwischen ungeordneten Möbeln und Umzugskartons, aßen rauchend, trinkend und sich unterhaltend süddeutschen Kartoffelsalat und man fühlte sich momentweise wie am Anfang irgendeiner Jugendverschickungsreise. Das verstärkte sich dann noch als wir am Nachmittag wie immer stundenlang Tischtennis spielten. Danach weiß ich nichts mehr. DETLEF KUHLBRODT
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