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mi-ma-mütze

von HEIKE RUNGE

Wer soll eigentlich all die Mützen wegtragen, die neuerdings die Geschäfte verstopfen, insbesondere den Damenoberbekleidungs-Bereich? Laut einer Umfrage der Aktion „Strick in Schick“ besitzen 80 Prozent der weiblichen Bevölkerung schon eine Mütze, setzen die Mütze aber selbst bei Minusgraden nicht auf. 35 Prozent der Mützenbesitzerinnen begründeten dies damit, dass sie die Mütze „nicht auf Anhieb finden“ würden, 45 Prozent gaben an, mit Mütze einfach „bescheuert auszusehen“.

Letzteres lässt meine HNO-Ärztin definitiv nicht gelten. Mit Mittelohrentzündung ans Mittelmeer? „Klar“, meinte sie, „aber nicht vergessen, eine Mütze spart zwei Pullover.“ Es war September, und ich wollte nach Italien! Ohne Verdeck die Küstenstraße runtersausen, Haare im Wind flattern lassen, vielleicht umspielt von einem Hauch von Seidenschal. Kratzige Strickwollmützen kamen jedoch in der Reiseplanung explizit nicht vor. Weil Mützen zum Leben junger attraktiver Erwachsener spätestens seit dem Kriegswinter 44/45 nicht mehr gehören, schon gar nicht zum Leben junger attraktiver weiblicher Erwachsener.

Die sich aber heute noch gut erinnern können – an eine vermützte Kindheit. Denn in den Sechzigern bedeutete Kindsein noch Mütze-Tragen-Müssen. Von Oktober bis April herrschte Mützenpflicht. Wer Pech hatte und zu Ohrenproblemen tendierte, bekam die Mütze selbst im Schwimmbad noch übergestülpt, und man konnte gar nicht so viele Mützen verlieren, wie nachgestrickt wurden. Ein der Öffentlichkeit bisher unbekanntes Dokument der totalen Unterwerfung jungen Lebens unter die Mütze zeigt ein missgelauntes Cowboymädchen in Rock und Weste mit bunten Bommeln im Schneematsch. Seine Cowboyletten erinnern verdammt an Gummistiefel. Aber die leicht unauthentischen Stiefel sind gar nicht das Problem des Cowboymädchens, das gerade vom brasilianischen Karneval träumt, wo niemand selbst gestrickte Dinge tragen musste, geschweige denn diese verdammte Scheiß-Mütze unterm Cowboyhut. Gut, bei jedem Umzug in Rio soll es viele Tote geben, was beim Rosenmontagszug selten vorkommt. Nur einmal wurde ein Kind, das sich zu sehr auf die Bonbons konzentrierte, von einem Laster überrollt. Diesem Kind hatte seine aufwendige Verpackung also auch nichts genützt, und es hatte sein Leben Mütze tragend beschließen müssen.

Damalige Mützen tendierten ja zum Tschadorhaften, behinderten die Sicht und bedeckten nicht nur helmartig den Kopf, sondern lappten über beide Ohren bis zum Kinn, wo sie zumeist unter Gewaltanwendung festgezurrt wurden. Dabei hatte man noch Glück, wenn es sich um eine Strickmütze handelte. Pelze, die wie festgetackerte Haustiere den Kopf umfingen, waren an der Tagesordnung. Irgendwann in den Siebzigern muss es dann einen Mützen-Aufstand gegeben haben, jedenfalls verschwand die Mütze, sogar die Badekappenverordnung wurde gekippt. Jetzt sind die Mützen unter höchst fadenscheinigen Begründungen zurück. Und wem soll’s nützen außer den Mützen?

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