meinungsstark
:

Die diskursiven Paralleluniversen

„Im Hass vereint“, taz vom 9. 1. 21

Sorry, aber ich kaufe diese undifferenzierte Gleichsetzung des US-Kapitolmobs mit den hiesigen Kritikern der Coronamaßnahmen nicht. Ich fürchte mich vor einer ganz anderen Parallelität: In den USA kann man den vorläufigen Endpunkt einer Spaltung beobachten, wo gesellschaftliche Gruppen sich so in diskursiven Paralleluniversen eingerichtet haben, dass sie überhaupt nicht mehr miteinander kommunikationsfähig sind. In der Coronakrise sehen wir, wie im Zeitraffer, eine ähnliche Spaltung: „Drosten-Deppen“ versus „Covidioten“. Und die taz marschiert bei dieser Verschärfung des Tons an vorderster Front mit, statt mäßigend (und wie sonst üblich) meinungspluralistisch zu agieren. Dabei böte Corona die Chance zu mehr Selbstreflexion, mehr Einsicht, mehr Nachsicht, mehr Solidarität, mehr Nächstenliebe. Mal ehrlich: Was soll man davon halten, wenn die taz (!) massive Eingriffe in die Grundrechte fast schon mit Jubelarien begrüßt und diejenigen, die daran Kritik üben, mit vergifteter Verachtung behandelt? Als Kommunikationswissenschaftler kann man darin – analog zu den xenophoben Asyldebatten der 90er oder den neoliberalen Reformdebatten der 2000er – das Heißlaufen eines diskursiven Justemilieus sehen, zu dem die taz neuerdings offenbar unbedingt gehören möchte.

Noch mal zurück zu den USA: Ungeachtet anderer Benachteiligungsstrukturen gibt es eben auch die Demütigung des kleinen weißen Mannes. Dem es leider überhaupt nicht weiterhilft, wenn man ihn mit erhobenem Zeigefinger darauf hinweist, dass andere gesellschaftliche Gruppen noch viel benachteiligter sind als er selbst. Und wenn alles, was diese kleinen weißen Männer von „linken“ Parteien angeboten bekommen, „Identitätspolitik“ und „Multikulti“ ist, dann suchen sie sich eben neue Galionsfiguren wie Donald Trump, die ihnen eine Wiederherstellung ihrer Selbstachtung und Selbstwirksamkeit auf anderem Wege versprechen. Dass dieser Weg toxisch ist und zulasten anderer geht, ist für sie dann zweitrangig. Stephan Krüger, Nehren

Ungebremster Jubel über E-Autos?

„Geht’s noch? Wehe, ihr freut euch!“, taz vom 9. 1. 21

Liebe taz, warum muss ich auch in der taz immer wieder Jubel über die gestiegenen Zahlen bei Elektroautos lesen? Wer spricht über die Herkunft des Stroms, wer thematisiert die mehr als bedenkliche Produktion der Batterien – und wie werden die eigentlich recycelt? Wo bleibt eine echte Verkehrswende, wenn die Mehrzahl der E-Autos wieder viel zu groß ist? Eine echte Verkehrswende wäre der massive Ausbau des ÖPNV, aber das zu fordern scheint wohl zu unsexy zu sein.

Gisela Kirch, Berlin

Vernichtung der Juden in Osteuropa

„Wir verstehen, dass wir bald an der Reihe sein werden“,

taz vom 9. 1. 21

Dass das Tagebuch des Jungen Yitskhok Rudashevsi aus dem Ghetto in Wilna neu herausgegeben wurde, begrüße ich besonders. Dokumente dieser Art sind zu selten, um nicht außerordentliche Beachtung zu finden. Denn es stimmt leider immer noch, die Gräuel der Verfolgung von jüdischen Menschen in Osteuropa sind noch lange nicht Teil der angeblich so vorbildlichen „Vergangenheitsbewältigung“. Es gibt noch andere schriftliche Zeugnisse der deutschen Untaten aus der Sicht eines Kindes: „Das Tagebuch des Dawid Rubinowicz“, herausgegeben von Walther Petri. Dawid wurde 1927 in einem polnischen Dorf in der Nähe von Kielce geboren. Zitat: „12. August 1940. Schon die ganze Kriegszeit lerne ich allein zu Haus. Wenn ich daran denke, wie ich zur Schule gegangen bin, dann möchte ich direkt weinen, und heute muss ich zu Haus sein und kann nirgendwo hingehen. Und wenn ich so bedenke, welche Kriege vor sich gehen in der Welt, wie viel Menschen täglich fallen, durch Kugeln, durch Gas, durch Bomben, durch Epidemien und andere Feinde der Menschen, dann habe ich zu nichts Lust.“ 1942 brechen die Tagebuchaufzeichnungen abrupt ab. Dawid wurde in Treblinka ermordet.

Sabine Puchstein, Hamburg