meinungsstark:
Wahlrechtsreform
„Der XXL-Bundestag rückt näher“, taz vom 26. 8. 20
Anja Maier hat mehr als recht. Der „Vorschlag“ zur Wahlrechtsreform, den der Koalitionsausschuss kreiert hat, ist eine Unverschämtheit. Die CSU hat gesiegt, sie behält alle Wahlkreise. Die CDU hat gesiegt, sie bekommt drei Mandat mehr als ihr nach dem Wahlergebnis zustehen würden. Die SPD bekommt nichts, sie hat auf ganzer Linie kapituliert. Der Aufblähung des Bundestags wird nicht verhindert, der Vorschlag zum Berechnungsverfahren ist nicht einmal nachvollziehbar ausformuliert, sondern in sich widersprüchlich. Selbst dieser kümmerliche „Vorschlag“ ist auf Nichtumsetzung angelegt, ganz offensichtlich kann keine der Oppositionsparteien ihn mittragen. Nach jahrelanger, intensiver Diskussion, in der alle Varianten auf dem Tisch lagen, nun erneut eine Kommission einzusetzen und Änderungen auf 2025 zu vertagen – was für eine Bankrotterklärung!
Reinhard Kaiser, Berlin
Unvernünftig und riskant
„Schulen und Kitas müssen diesmal offen bleiben“, taz vom 29. 8. 20
An sich empfand ich die taz immer als vernünftige Zeitung. Dies änderte sich heute leider schlagartig, als ich ihren Kommentar dazu las, dass die Kitas und Schulen auch bei der zweiten Welle offen bleiben sollen. Solche Forderungen sind riskant. Was passierte, als die Schulen und Kitas wieder öffneten? Gleich in mehreren Einrichtungen mussten Menschen in Quarantäne. Die Zustände in Kitas waren schon vor Corona nicht normal. Wir haben einen massiven Erziehermangel. Am Anfang der Kitaöffnung konnten wir bei Erkältungssymptomen ja wenigstens noch Tests verlangen. Nun dürfen wir die Kinder nur bei Fieber oder Verlust des Geruchs- oder Geschmackssinns abholen lassen. Wie viele Krippenkinder kennen Sie, die das schon ausdrücken können? Statt Tests gibt es nun Selbsterklärungen, die die Eltern ausfüllen müssen, dass ihr Kind 48 Stunden fieberfrei sei. Es wäre nicht das erste Mal, dass ich es sehe, dass Kinder mit Medikamenten fieberfrei gemacht werden und wieder in die Kita kommen. Erzieher*innen werden immer noch kaum getestet, genauso wenig Kinder.
Marie Elisabeth Kuna, Berlin
Friedrich-Merz-Interview
„Die Zerrbilder über mich sind falsch“
taz vom 29. 8. 20
Die Marktwirtschaft und der Neoliberalismus, denen Herr Merz das Wort redet, spiegeln genau das Rosinenpicken wider, mit denen die Verfechter des Kasinokapitalismus ihr Handeln rechtfertigen. Der Markt richtet es, die unsichtbare Hand, die Angebot und Nachfrage ins Gleichgewicht bringt. So zitieren sie gerne Adam Smith aus „Wealth of Nations“. Smith war seiner Zeit vor 150 Jahren schon weit voraus. Er ahnte die Schwachstellen seines Modells. Weil es ihm nicht gelang, soziale und ökologische Faktoren in seinem Zahlenwerk zu internalisieren, entschied er sich, seinem volkswirtschaftlichen Modell – das seitdem alle zitieren – ein moralisch-ethisches voranzustellen. In „Theory of Moral Sentiments“ beschrieb er bereits Jahre vorher, dass er Mitleid für die grundlegende Triebfeder menschlichen Handelns hält. Diese Maxime setzt er auch für alle Marktteilnehmer voraus, wenn er die volkswirtschaftlichen Mechanismen beschreibt. Marktteilnehmer wie Blackrock würde es unter diesen Umständen gar nicht geben. So wären Renditeerwartungen von annähernd 10 Prozent, die diese Shareholder zum Beispiel auch aus privaten Pflegeeinrichtungen erwarten, entlarvt als das, was sie sind: Ausbeutung pur. Diese personalintensiven Dienstleistungen geben keine hohen Renditen her. Nur mit Niedriglöhnen und Einsparungen in der Infrastruktur können die Erwartungen der Shareholder erfüllt werden. Herr Merz ahnt, dass die notwendige Transformation unserer Gesellschaft diese Denke überwinden wird.
Eckart Lube, Neustadt an der Weinstraße
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