piwik no script img

meinungsstark

Offener Brief an die 68er

Liebe 68er, ihr wart die Coolsten, immer schon. Was habe ich, die zehn Jahre zu spät Geborene, euch bewundert: Ihr habt Altnazis aus den Latschen und Positionen gekippt, Welten und Werte verändert, gegen alle Regeln rebelliert, die vor euch so selbstverständlich waren, ihr hattet die coolsten Klamotten, ihr erfandet Musik neu, ihr hattet vor nichts Angst – und ihr hattet Sex. In allen Lebenslagen, Stellungen, Bewusstseinszuständen und an allen Orten, die euch dafür passend erschienen. Als ihr jung wart, war Jungsein das einzig Wahre, in euren mittleren Jahren wart ihr öfter verheiratet als Heinrich VIII. und jetzt, wo ihr 70 seid, seid ihr die coolsten 70-Jährigen, die die Welt je gesehen hat:

Ihr lauft Marathons, seid (wieder) mit dem Motorrad unterwegs, erobert im Wohnmobil die Welt. Nur in den letzten Wochen ist es merkwürdig still um euch geworden. Liegt’s daran, dass ihr jetzt offiziell Risikogruppe seid und euch diesen Schuh tatsächlich anzieht? Seid ihr schockiert, dass auch ihr möglicherweise sterblich seid und nicht for ever young? Spürt ihr das Knirschen im Gebälk und zählt besorgt an euren Fingern ab, wer von euch das Intensivbett mit der Beatmungsmöglichkeit in Anspruch nehmen darf?

Leute, das kann jetzt echt nicht sein! Da draußen implodiert der Rechtsstaat, jeder Ansatz von Bildungsgerechtigkeit wird aufgegeben, Grenzen abgedichtet, 3-jährige Kinder isoliert und eingesperrt, alte Menschen jeder Selbstbestimmung beraubt, Geflüchtete lässt man verrecken, Hunger breitet sich schneller aus als das Virus, Menschenrechte, Bürgerrechte, Freiheitsrechte werden beschnitten – und ihr zählt Erbsen und klappert mit den Zähnen?

Sagt mir, dass das nicht wahr ist! Bitte, bitte, bitte kommt endlich aus der Schreckstarre raus und runter vom Sofa. Zeigt der Welt in ihrem wild gewordenen Epidemiologen-Faschismus, dass ihr keine Angst habt, nicht vor den Mächtigen, nicht vor den Pseudo-Experten der Freiheitsberaubung und nicht vor dem Virus. Immer noch nicht.

Kommt raus auf die Straße, meinetwegen mit Mundschutz. Sagt, dass ihr diese Opfer nicht braucht und nicht wollt. Sagt es laut und nicht nur hinter vorgehaltener Hand. Ihr seid die Einzigen, die das tun können. Also tut’s. Tut’s für die Kinder. Tut’s für die Alten. Tut’s für uns alle. Tut’s für euch selbst. Schneidet als Erstes die Flatterbänder um die leeren Spielplätze ab. Die Kinder selbst findet ihr auf den Friedhöfen. Die sind noch unbewacht. Sie spielen dort mit den Gießkannen. Eure Renate Schweizer, Backnang

Sind die 68er ausgestorben?

Liebes taz Team, ich bin taz-Leser der ersten Stunde. Es macht den Eindruck, als ob auch ihr Opfer des Medienvirus Angst geworden seid und daraus folgert, dass jede Maßnahme akzeptabel ist. Selbst die aktuelle Planung für eine Überwachungs-App scheint den meisten von euch unproblematisch. Dabei soll hier ein Instrument installiert werden, was durch Knopfdruck in ein Kontrollsystem individueller Bewegungsmuster verwandelt werden kann, welches in China bereits gesellschaftliche Realität ist. Sind die 68er bei euch ausgestorben? Habt ihr vergessen, dass das Leben, die Liebe und die Freiheit nicht ohne Risiko funktionieren? Wenn man alles der Sicherheit unterordnet, stirbt die Freiheit. Wer, wenn nicht ihr, könnte die Widersprüche aufdecken, indem ihr den alternativen Stimmen Gehör gebt? Karl-Hermann Günther, Kiel

Der größte Strohhalm

„Wirtschaftsweisen“, taz vom 25./26. 4. 20

manchmal hab ich das gefühl, taz nur noch wegen ihnen, herr höge, zu lesen. na ja, eine handvoll andere autoren gehören schon noch dazu, aber sie sind einfach der größte strohhalm. ps: ich hab mal ne gemüsekiste getauscht gegen psychotherapie. war ganz okay – muss mann ja auch erst mal finden, nen psychoonkel, der sich auf so einen deal einlässt ... und bei dem man sich nackig machen will. aber auf dauer war mir das zu teuer. der garten selbst hat nach wie vor die größte wirkung. und natürlich die tiere, schafe und hühner, die ihn mitnutzen. Boris Krumm, Hopfgarten

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen