meinungsstark:
Mein Gott, Sahra!
„Linke und Aufstehen werben für die Revolte“, taz vom 27. 12. 18
Sahra Wagenknechts neuester „Aufstehen“-Spot auf der Webseite ist ja wohl der Gipfel. Sich wie die Schneeprinzessin eingehüllt (fehlt nur die russische Pelzmütze) mit dem „gilet jaune“ vor dem Kanzleramt in Pose zu setzen („Da will ich rein“, siehe Schröder), das hat was – Unverfrorenes. Im Jahr 1813 rief der preußische König die Deutschen noch auf: „Ruhe ist die erste Bürgerpflicht!“
Jetzt also heißt es von Sahra, nachdem sonst in „ihrer“ Bewegung nichts mehr läuft: „Nur die Gelbjacken-Bewegung von unten, nach französischem Vorbild, kann noch helfen!“ Von wo aus bitte? Von unten? Echt? Aber doch wohl gesteuert von oben? Von Sahra und Oskar? Hat denn Willem der Zwote, nachdem sein Krieg zu Ende war, selber die deutsche Revolution ausgerufen? Mein Gott, Sahra! Gérard Carau, Beckingen
Kitsch, Kuriosität und Skandal
„Höher, weiter, näher“, taz vom 22. 12. 18
Mit ihren Anreizen als auch Zwängen zu Spektakel, Spannung und Abwechslung stellt die Motivationslage der öffentlichen Medien nicht erst ein Problem dar, sobald jemand solchen Nachfragen durch erfundene Geschichten genügt.
Vielleicht sollte der Fall Claas Relotius daher weniger zum Anlass genommen werden, die Unwahrheitsanteile einer mit Kitsch, Dramatik und Sensation untrennbar verbundenen Nachrichtenproduktionsdynamik zu recherchieren, als sich vielmehr über ein „Geschäftsmodell“ Gedanken zu machen, das nur dann persönliche wie senderspezifische Aufmerksamkeit, ergo Umsatz zu generieren scheint, wenn es genügend „Action“, Kuriosität und Skandal liefert, wie es der Fall Relotius ja nun selbst tut. Zumal das Internet mit seiner Möglichkeit, auch die krassesten Fake News zu verbreiten, das Level für Aufmerksamkeitsgenerierung nochmals deutlich angehoben hat.
Das Konkurrieren der Realitätswiedergabe mit dem Realitäts-Märchen ist aber doch meistens ein aussichtsloses Unterfangen. Vielleicht führt gerade diese Hysterie der Superlative zumindest bei den traditionellen Nachrichtenlieferanten und Konsumenten zu einer gewissen Müdigkeit und einem Umdenken in Richtung auf eine vergleichsweise mitunter langweiligere, aber dafür grundsätzlich viel glaubhaftere Abbildung der Wirklichkeit.
Der oberste Wert sollte weiterhin die möglichst zusatzfreie Realiätswiedergabe sein und nicht deren Potenzial, in einer Arena des Aufmerksamkeitskampfes mehr offene Münder zu produzieren als die Konkurrenz.
Der Zwang zum „Spektakel“ kann ja auch dazu führen, bestimmte Negativereignisse sogar mehr zu wünschen als ihr Ausbleiben. Statt mangelnder Empathie haben wir es dann mit scheinbarer Empathie zu tun, die noch inakzeptabler ist als die mangelnde, weil sie ja nicht nur Ignoranz des Leids , sondern Betroffenheitslust, also Appetit am Leid im Gewand leidbedauernden Mitgefühls ist. Wolfram Hasch, Berlin
Hauptsache, nicht links denken?
„Ausfahrt für Wutbürger“, taz vom 21. 12. 18
Ein Aussteiger-Programm für Linke? Wer sollte das nutzen? Und was genau wird da angeboten? Bekommen Betroffene dort eine neue Identität als CDU-Mitglied? Und die ganz besonders Eifrigen dürfen zur AfD? Hauptsache, nicht links denken!
Vielleicht gibt es diese Aussteiger ja schon und uns sind sie noch gar nicht aufgefallen, mal abgesehen von Horst Mahler, der seinen Wandel damals noch ganz allein ohne Aussteigerprogramm bewältigen musste, und das war ’ne echte Strecke von links-links außen nach rechts-rechts außen.
Vielleicht gehört ja Friedrich Merz auch zu denen, die eigentlich mal für das Gute gekämpft und es sich wegen der steigenden Lebenshaltungskosten dann anders überlegt haben, der war doch auffällig lange verschwunden. Wie er wohl zu seinen Aktivistenzeiten hieß? Freddy the Blackrock-Schleuder? Sabine Sabranski, Berlin
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