meinungsstark:
„Wo Sanktionen wirken“, taz vom 16. 11. 18
Der gemeine Hartz-IV-Empfänger
Ob Hartz-IV-Sanktionen wirken? Welch eine Frage! Sie sind zu einer der wesentlichen Stützen des bestehenden Neoliberalismus geworden. Ohne das über jedem Arbeitnehmer schwebende Damoklesschwert des jederzeit möglichen Absturzes in die Sanktionshölle von Hartz IV hätte der Umbau dieser Gesellschaft wohl kaum so reibungslos vonstatten gehen können. Millionen von Arbeitnehmern, die über Jahrzehnte stagnierende oder sogar sinkende Reallöhne klaglos hinnehmen? Die in Massen in den gigantischen neuen Niedriglohnsektor überlaufen?
Ohne die permanente Drohung mit dem Sanktionsarsenal von Hartz IV wäre all dies undenkbar. Dass die Angst davor bei vielen größer ist als die Sorge um die mögliche Unbewohnbarkeit des Planeten zeigt deutlich, wo – und wie gründlich – diese Sanktionen noch immer wirken. Doch der Artikel streift noch eine weitere, nicht zu unterschätzende Wirkung der Hartz-IV-Sanktionen: Für das Lebensglück der Deutschen ist es ebenso wichtig, nach oben zu buckeln, wie nach unten zu treten. Unter allen ausgegrenzten, benachteiligten und schikanierten Minderheiten in dieser Gesellschaft dürfte diejenige der gemeinen Hartz-IV-Empfänger jene sein, welche die geringste Lobby hat. Eine Kaste von Unberührbaren. Unwidersprochen als faul, arbeitsscheu und schmarotzend stigmatisiert, meist auch noch als dumm und unselbstständig paternalisiert, sind sie der ideale Blitzableiter für alles, was gerade schlecht läuft. Richard Hehn, Villingen-Schwenningen
Faulheit ist nicht der Grund
„Jeder kann es schaffen, wenn er sich nur genügend anstrengt.“ Dieses Dogma der Nachkriegsgesellschaft exerziert die Gesellschaft heute noch unreflektiert durch. Die Stigmatisierung der „Faulen“ verkennt dabei hartnäckig – bewusst oder unbewusst –, dass dem vermeintlichen Nichtwollen oft ein Nichtkönnen zugrunde liegt. Dessen Ursachen oft in psychischen Belastungslagen und Erkrankungen zu finden sind. Häufig in zunehmenden depressiven Erkrankungen. In meiner langjährigen Arbeit mit jungen Menschen im Übergang von der Schule zum Beruf habe ich keinen erlebt, der nicht wollte. Sondern viele, die nicht konnten. Und sich schämten dafür.
Aufklärung über psychische Erkrankungen und deren Auswirkungen könnten dem Unwort „Faulheit“ etwas entgegensetzen. Und den Betroffenen etwas Würde zurückgeben, anstatt sie noch weiter zu stigmatisieren. Sanktionen dagegen bringen die Betroffenen in noch größere Bedrängnis und vertiefen die Notlage, in der sie sich schon befinden. Was sie brauchen, sind angemessene Unterstützung und Verständnis. Dorit Milkau, Albstadt
Was für eine „Altmaierei“!
„Nur vorsichtiges Abrücken von Hartz IV“, taz vom 19. 11. 18
Jemanden, dem nachgesagt wird, dass er gern kluge Bemerkungen von sich gibt, bezeichnen wir als Schlaumeier. Nun hat sich neuerdings der altmaiernde Altmaier hinzugesellt.
Was soll das für eine großartige und notwendige Teilhabe sein, acht Stunden lang Büros zu putzen oder in Amazons Warenlager fünfhundert Meter durch die Halle zu einem Regal zu hetzen, um eiligst die gerade bestellte Ware herbeizuschaffen, damit diese den Kunden unverzüglich und am besten noch vor dessen Bestellung erreicht? Die Motivation, solche Arbeiten zu verrichten, ist lediglich eine finanzielle, in der Regel auch noch eine prekär existenzielle. Bei naturgemäß schlechter, aber (noch) notwendiger Arbeit könnte die Freude immerhin in der Aussicht auf das baldige Ende dieser Tätigkeit, also darin bestehen, dass sie nicht viele Stunden am Tag ausgeübt werden muss, nur damit der Mensch sein Überleben finanzieren kann.
Das sanktionsfreie Bürgergeld würde eine grundsätzliche Freiheit schaffen, von der aus der Einzelne unabhängig von solchen unwürdigen „Teilhabe“-Angeboten ist. All die Altmaier würden dann endlich so aussehen, wie es ihre Anschauungen meiner Meinung nach längst sind: alt. Wolfram Hasch, Berlin
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