meinungsstark:
Reduziert auf „unterdrückte Frau“
„Das Kopftuch ist eine andauernde körperliche und psychische Disziplinierung“, taz vom 17. 4. 18
Ich schätze die taz für kontroverse Diskussionen und auch für mutige und freche Titelgestaltung. Mit dem Titel zur Kopftuchdebatte wurde aber eine journalistische Grenze überschritten. Provokante Titelbilder sind gut, um die „Mächtigen“ auf die Schippe zu nehmen, sie sind billig, wenn sie auf Kosten einer in der Gesellschaft marginalisierten Gruppe stereotype Bilder bedienen, um „aufzumachen“.
Das massive schwarze Kopftuch erinnert in der Bildsprache an die unsäglichen und viel kritisierten Nach-Köln-Titel von Süddeutsche und Fokus mit schwarzen Händen auf weißen Frauenkörpern. Hier wie dort geht es nicht um Inhalte, sondern es spielt mit gesellschaftlich vorhandenen rassistischen Bildern und reproduziert sie. Das Kopftuch umrandet und betont als „Symbol der Unterdrückung“ ein Zitat aus dem Interview mit Frau Bläser, das gar nicht als Zitat zu erkennen ist, sondern im düsteren Blickfang alle Klischees bedient, mit denen Frauen, die ein Kopftuch tragen, täglich konfrontiert sind.
In dem Interview geht es darum, wie die Gesellschaft mit der Frage des Kopftuchs bei Mädchen umgehen will. Im Titelbild spielt dieses Thema keine Rolle. Es geht allgemein um das Kopftuch. Es geht nicht um Sprechverbote, nicht darum, eine Debatte darüber zu kritisieren, welche (vielleicht tatsächlich sogar unterschiedlichen) Folgen es für Kinder haben kann, ein Kopftuch zu tragen. Dann müsste man aber nach diesen unterschiedlichen, vielleicht auch widersprüchlichen Realitäten in unterschiedlichen Familienkontexten fragen.
Wir arbeiten viel mit Frauen, die Kopftuch tragen, und sehen, wie diese Gruppe wie kaum eine in der Gesellschaft von alltäglicher Diskriminierung betroffen ist. Auf dem Arbeitsmarkt führt dies in manchen Regionen und manchen Branchen zu einem fast absoluten Ausschluss. Untersuchungen von Albert Scherr (Freiburg) zeigen, wie stark diese Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt von den Bildern über Frauen mit Kopftuch abhängen, die nicht zuletzt über die Medien transportiert werden. Viele betroffene Frauen empfinden letztendlich nicht das Kopftuch als unterdrückend, sondern die einseitige mediale Berichterstattung und eingesetzte Bildsprache, wenn es um das Kopftuch geht.
Es ist erschütternd, mit welcher Ignoranz ihnen begegnet wird. Wie kopftuchtragende Muslima als Personen auf dieses eine Thema, „unterdrückte Frau“, reduziert werden, wie ihnen das viele Chance auf dem Arbeitsmarkt nimmt und damit auch der besten Chance beraubt, sich, wenn es denn tatsächlich um ein unfreiwilliges Bedecken des Haares geht, aus patriarchalen Verhältnissen zu emanzipieren, was sie mit vielen christlichen, jüdischen und nichtreligiösen Frauen in dieser Gesellschaft teilen.
Im Vorspann eines Interviewprojekts aus unserem Projekt klever-iq schreiben die Autor*innen der Filme: „Zu einer Gesellschaft ohne Barrieren und Unterdrückung gehört das Recht auf freie Entscheidung. Eine Frau muss frei wählen können: Zeige ich meine Haare? Trage ich ein Kopftuch? Es ist egal, wie sie sich entscheidet. Sie darf nicht benachteiligt, ausgegrenzt oder schlecht behandelt werden.“ Tageszeitungen haben auch den Auftrag, zu einem gleichberechtigten gesellschaftlichen Zusammenleben beizutragen. Eine einseitige Kritik an einer Gruppe, ohne deren systematische Diskriminierung in den Bereichen Bildung und Arbeit zu benennen, trägt nicht dazu bei.
Andreas Foitzik, Tülay Güner, adis e. V., Tübingen; Claus Melter, „Entschieden gegen Rassismus und Diskriminierung“, Bielefeld
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