meinungsstark:
betr. „Heimat ist ein Projekt, findet die grüne Spitzenpolitikerin Katrin Göring-Eckardt“,taz vom 6./7. 10. 17
Heimat solidarisch erkämpfen
Katrin Göring-Eckardt hat endlich die Diskussion über Heimat ins links-alternative Spektrum zurückgebracht – wenn auch in viel zu „bravem“ und funktionalistischem, sich gegen rechts verteidigendem Gewand. Heimat dem (Vater-?)Land unterzuordnen ist der falsche, nicht selbstbewusste Ansatz. Heimat sollte von unten über Regionen zu Europa führen.
Der NS-Verfolgte Ernst Bloch konstatierte: „Was allen in die Kindheit scheint und worin noch nie jemand war: Heimat.“ Für ihn hing Heimat mit Utopie und Hoffnung zusammen. Es ist die Herausforderung, „Heimat zu schaffen“, das Gefühl, sich „wie als Kind“ wohlzufühlen. Wer keine schöne Kindheit hatte, Flüchtling oder Immigrant war, muss sie sich in solidarischer Aktion, mit Sprache und Kultur vermittelt, aneignen, gemeinsame Heimat, somit auch Geborgenheit schaffend. Der Gesamtprozess geht nicht in ökologischen Nischen, „atomwaffenfreien Zonen“ und alternativen Exklaven, sondern in heimatschaffender Breite, Bewegung; das heißt im Kampf, nicht nur im Bekenntnis oder Konkurrenzanspruch gegen „Völkisches“.
Demokratische Bewegungen gab es immer: Salpetererunruhen, 1848, Startbahn West, Arbeiter- und Frauenkampf, Wyhl, Wendland, Braunkohleland … Wenn Heimat solidarisch erkämpft ist, werden staatliche Grenzen zu Verwaltungsgrenzen und die Frage der „Identität“ erübrigt sich. Etwas mehr Utopie könnte auch die Grünen reanimieren. Ich gebe die Hoffnung nicht auf. Lothar Bembenek, Wiesbaden
Wir fühlen international
Auch die Debatte über Heimat war Kurt Tucholsky (Tucho) schon vertraut – siehe die folgenden Zeilen:
„Im Patriotismus lassen wir uns von jedem übertreffen – wir fühlen international. In der Heimatliebe von niemand – nicht einmal von jenen, auf deren Namen das Land grundbuchlich eingetragen ist. Unser ist es.
Und so widerwärtig mir jene sind, die – umgekehrte Nationalisten – nun überhaupt nichts mehr Gutes an diesem Lande lassen, kein gutes Haar, keinen Wald, keinen Himmel, keine Welle –, so scharf verwahren wir uns dagegen, nun etwa ins Vaterländische umzufallen. Wir pfeifen auf die Fahnen – aber wir lieben dieses Land.“ Matthias Knuth, Hattingen
My home is my castle
Frau Göring-Eckardt erklärt, wie der Begriff Heimat missbraucht wird. Das geforderte „offene Verständnis von Heimat“ bleibt jedoch vage. „Heimat = Zuhause + Zurechtfinden + Sichersein“ suggeriert der einleitende Satz. Den weiteren Text verkürzend, muss die „offene Heimat“ anscheinend ständig neu erarbeitet werden.
In früheren Jahrhunderten war Heimat einfach zu definieren: wo man geboren wurde und vermutlich auch sterben würde. Wo man den Pfarrer, den Arzt und den Lehrer über Jahrzehnte kannte. Wo ein Fremder im Jahr auftauchte und misstrauisch beäugt wurde. Die AfD, die CSU und diverse Vorabendsendungen wollen dieses „Ideal“ heraufbeschwören. Vor diesem Ideal wird der Flüchtling zur Projektionsfläche für die Ängste vor der globalisierten Welt.
Im realen Leben zieht eine Familie von Sachsen nach Baden-Württemberg, weil es da besser bezahlte Jobs gibt. Und später in ein Dorf in der Pfalz, weil da der Baugrund billiger ist. Die Tochter studiert in Hamburg und möchte in den USA arbeiten. Das ist sicherlich (noch) nicht typisch, Heimat verkürzt sich oft zu „My home is my castle“ oder „all my facebook friends“. Wir selbst werden zu Nomaden im Auto und Düsenjet, die sich vor Nomaden fürchten, die zu Fuß kommen.
Vielleicht hat der globalisierte Bürger keine Heimat, auch keine offene. Deshalb sollte Frau Göring-Eckardt die Idee der „offenen Gesellschaft“, die sie in ihrem Beitrag in Wirklichkeit beschreibt, nicht künstlich in „offene Heimat“ umbenennen. Thomas Damrau, Böblingen
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