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Archiv-Artikel

meine werte (7) Lieber bescheuert als Vordrängler

Für den Vordrängler sind alle anderen nur Slalomstangen auf der Busspur des Lebens. Man sollte ihn abknallen

Werte gehen mir weitgehend am Arsch vorbei. Wie nicht wenige aus den neutralen Sandwichjahrgängen zwischen der älteren Generation Sponti und der jüngeren Generation Golf, also sowohl jenseits eines reflektierten Gemeinschaftssinns als auch einer arroganten Asozialität, sehe ich mich auf eine mal spöttelnde, mal depressiv lethargische Beobachtungshaltung gegenüber der Muppet-Show-Welt sowie all ihren philosophischen Ideen und Idealen zurückgeworfen.

Der Autismus regiert. Mut, Stolz, Würde, Prinzipienfestigkeit, Loyalität, Treue, Liebe: Schnickschnack vor dem Herrn. Allenfalls ein bisschen Gerechtigkeit – ja, das wäre schön.

Deshalb hasse ich Vordrängler. Vordrängler zerstören das natürliche Gleichgewicht. Sie sind hochgradig aggressiv und stecken andere damit an: Wenn ich ihre hektische Verschlagenheit bloß im Rücken spüre, beim Bäcker, an der Bar, am Eingang zu was auch immer – Ausnahme: Hölle, wo sie hingehören –, rollen sich mir vor Anspannung die Fußnägel auf. Im Straßenverkehr drängeln sie oder fahren auf der Busspur einfach an den Kolonnen wartender Fahrzeuge vorbei. Sie sind die Parasiten, die dem Anstand das Blut aussaugen. Man sollte sie abknallen.

Das Vordrängeln erfolgt nicht nur physisch – es ist ein Prinzip in jeder Lebenslage. Genau das macht es so unerträglich. Der Vordrängler schreit immer und überall: „Hier! Hier! Ich! Ich!“ Auf Schritt und Tritt posaunt er sein Überfliegertum heraus, ob wider besseres Wissen oder aus maßloser Selbstüberschätzung. Als Politiker überschätzt er seine Integrität, als Manager seinen Wert, als Künstler sein Schaffen und grundsätzlich seine Bedeutung. Der Vordrängler steckt voller Gier. Er muss immer der Erste sein, muss immer mehr haben als andere, sonst heult er. Die größte Befriedigung verschafft ihm dabei, jemanden übervorteilt zu haben – sonst macht es keinen Spaß. In seinen Augen sind alle anderen nur Slalomstangen auf der Busspur des Lebens – in der Bäckerei, im Beruf, in der Beziehung. Werte sind ihm nicht einfach gleichgültig – er sieht es vielmehr als seine ureigenste Aufgabe an, aktiv und lustvoll einen Riesenhaufen auf sämtliche Werte zu scheißen, um anschließend, wie ein Schwan mit den überdimensionierten Ellbogen wedelnd, stolz um sein stinkendes Werk zu tanzen. Der Vordrängler ist oft ein Einzelkind.

Demut ist für ihn Doofheit, Bescheidenheit eine Zier für Bescheuerte. Da bin ich gerne bescheuert. ULI HANNEMANN