mail aus manila : Leben im Call Center
Germanistikstudentin in einer bizarren Welt – wie von Asien aus die Hotline einer deutschen Kreditkartenfirma betreut wird
Nach dem Essen stehen J. und ich auf dem Balkon und trinken Bier. J. erzählt von ihrem neuen Job bei einem Call Center, mit dem sie ihr Germanistikstudium an der Universität in Manila finanziert. Die Firma, bei der sie arbeitet, ist seit einem Jahr in den Philippinen und bedient 80 Prozent aller Anrufe bei der Hotline eines Kreditkartenunternehmens. In Europa werden nur nur 20 Prozent abgewickelt, bei einer Firma in Irland. Aus den USA hat sich der Kundendienst der Firma komplett „zurückgezogen“ .
Weil J. Deutsch kann, verdient sie 700 Euro. Wer nur Englisch spricht, bekommt die Hälfte. Was die deutschen Kollegen verdienen, weiß sie nicht, aber J. vermutet, dass es mehr als 1.000 Euro sind. Mit so einem Einkommen kann man in den Philippinen ein angenehmes Leben führen. Ihr Kollege N. hat für einen Job im Call Center seine Stelle als Assistent an der Universität aufgegeben. Mit den 200 Euro, die er da verdiente, konnte er seine Familie nicht mehr durchbringen.
J. spricht Deutsch, aber für Bankgeschäfte war es am Anfang nicht genug. Sie wusste nicht, was eine „Einzugsermächtigung“ ist und dass man eine Buchung „storniert“, hat sie im Literaturseminar nicht gelernt. Die Leitfäden für die Telefonate sind alle auf Englisch. Ihr deutscher Kollege hat ihr dabei geholfen, die wichtigsten Phrasen und Sätze zu übersetzen. Diese Sätze hat sie in ihrer E-Mail an sich geschickt, weil sie sonst keinen Speicherplatz auf dem Computer hat. Viele der Kunden, die anrufen, sprechen mit Dialekt oder so schnell, dass sie sie nicht verstehen kann. Dann wartet sie, bis sie einen Begriff aufschnappt, den sie kennt, zum Beispiel „gestohlen“, und beginnt zu fragen: Ist Ihnen Ihre Kreditkarte gestohlen worden? Haben Sie die Nummer der Karte? War sie unterschrieben?
Wenn sie gar nicht weiterkommt, schickt sie den Kunden in die Warteschleife und hofft, dass einer ihrer deutschen Kollegen den Anruf übernimmt. Manchmal fragen die Anrufer, in welchem Land sie denn eigentlich angerufen haben. Oft werden sie aggressiv, wenn sie sie nicht schnell genug versteht. Am ungeduldigsten sind die Schweizer, findet sie, und am schwierigsten zu verstehen sind die Österreicher. In beiden Ländern war J. noch nie. Und weil die Flüge nach Europa so teuer sind und man für eine Reise nach „Schengenland“ als Frau im heiratsfähigen Alter sowieso fast kein Visum mehr bekommt, wird sie wahrscheinlich auch nicht hinkommen.
Ihr neuer Job ist ist „inbound“, und somit auf jeden Fall besser als als der „Outbound“-Job, den sie vorher hatte. Bei dem musste sie Leute in den USA anrufen, um ihnen eine Kreditkarte aufzuschwatzen. Noch nie in ihrem Leben sei sie so beschimpft worden. Wenn es ganz schlimm wurde, hat sie kurz den „Stummknopf“ gedrückt, der ihren Telefonhörer abstellte, und „Fuck you, asshole“ gesagt.
Das Call Center liegt in Libis, einem neu aus dem Boden gestampften Stadtteil von Manila, der sich als „first IT economic zone“ des Landes bezeichnet. Der Ausdruck „economic zones“ soll an die „special economic zones“ erinnern, mit denen die Philippinen Investoren in strukturschwache Gebiete locken wollen. Die Unternehmen, die sich in von der Außenwelt abgeschnittene Arealen ansiedeln, müssen kaum Steuern zahlen. Internationale Firmen wie Ericsson und Siemens lassen dort Handys montieren oder Ventilatoren zusammenstecken.
Libis ist keine „special economic zone“. Aber dafür gibt es Supermärkte, die 24 Stunden geöffnet haben, damit die Angestellten des Call Centers einkaufen können. Und es gibt eine Mall voller „Flagship Stores“ von Designermarken, damit sie noch mehr einkaufen können. Vor der Mall ist eine an Disneyland erinnernde Ansammlung von internationalen Restaurants. In einem kuriosen, postmodernen Pastiche reihen sich italienische Pizzeria und polinesischer Grill aneinander, japanischer Sushiladen und Schweizer Fonduerestaurant. McDonald’s gibt es natürlich auch.
J.s Schicht geht von sechs Uhr nachmittags bis drei Uhr nachts. Weil Manila bei Nacht gefährlich ist, hat die Firma einen Raum eingerichtet, in dem die Angestellten in Klappsesseln schlafen können. Am morgen wäscht sie sich in der Firmendusche, und fährt zur Uni. Ihre Wohnung sieht sie manchmal die ganze Woche nicht. Frei hat sie am Sonntag und Montagvormittag. Am Sonntagabend trifft sie sich mit Freunden in einer Bar in Libis. Dann trinkt sie Cocktails, bis sie nicht mehr stehen kann. Es ist das einzige Hobby, für das sie im Augenblick Zeit hat.
TILMAN BAUMGÄRTEL