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Archiv-Artikel

mail aus manila Alle reden vom Wetter. Wir nicht …

In der Regenzeit kommt das öffentliche Leben zum Erliegen, selbst die Hauptverkehrsstraßen sind frei vom Dauerstau

In den Philippinen spricht man nicht über das Wetter. Warum, das habe ich auch nach zwei Jahren in diesem Land nicht verstanden. Denn zu reden hätte man über das philippinische Wetter genug. Zum Beispiel über das ununterbrochene Gewitter, das hier schon seit drei Tagen wütet. Und das den reißenden Strom in Bewegung gebracht hat, der seit zwei Tagen unter dem Fenster meines Arbeitszimmers vorbeifließt. Da, wo vorher die Straße vor unserem Haus gewesen ist.

Aus den gegenüberliegenden Blumenbeeten ergießen sich üppige Wasserfälle in diesem Strom. Der Regen hämmert gegen die Scheiben. Selbst mittags herrscht draußen ein trübes, grünliches Dämmerlicht. Die Straße ist wie leer gefegt. Bloß gelegentlich fährt ein Luxusgeländewagen voll mit den wohlhabenden Philippinern, die sich solche Autos leisten können, wie ein Ufo in Zeitlupe vorbei.

In der Regenzeit, die auf den Philippinen im Juni beginnt und im November endet, suchen bis zu zwanzig derartige Taifune den südostasiatischen Archipel heim. Nicht alle brechen mit so einer Gewalt über die philippinische Hauptstadt herein wie dieser. Aber wenn sie es tun, dann kommt das öffentliche Leben zum Erliegen. Die Schulen und Universitäten bleiben geschlossen. Die Hauptverkehrsstraßen sind plötzlich frei von dem Dauerstau, der sie sonst blockiert. Die wenigen Autos und Jeepney-Busse, die sich durch die Regenwände schieben, gleichen Amphibienfahrzeugen, die zum Teil bis zu den Schutzblechen unter Wasser sind.

Selbst die Philippiner, die sonst das ganze Jahr nichts als Shorts und T-Shirts tragen, ziehen sich Regenmäntel über. In den Supermärkten sind nach drei Tagen Dauerregen einige Produkte ausverkauft und werden auch erst mal nicht nachgeliefert. Die Lieferwagen kommen einfach nicht mehr durch.

Nach zwei Tagen Dauerregen beginnen die Kleiderschränke modrig zu riechen. Nach drei Tagen muffelt das ganze Haus. Die Kleidung, die Kopfkissen, die Polster wirken klamm, wenn man sie berührt. Die Seiten der Bücher auf dem Nacht- und Schreibtisch fangen an, sich zu wellen. Später sind die Blätter dann mit den braunen Stockflecken marmoriert, die hier nach und nach ganze Büchereien ruinieren.

Die Laune im Haus nähert sich dem Nullpunkt. Wenn man in einer der kurzen Regenpausen auf die Straße geht, hört man aus der Ferne manchmal wildes Brüllen, das wie ein Erleichterungsruf klingt. Als müsste da mal kurz jemand seine Frustration abreagieren.

Nachdem ich das Haus drei Tage lang nicht verlassen habe, wird das Obst und Gemüse im Kühlschrank knapp. In einer der kurzen Regenpausen versuche ich darum, am Sonntagmorgen den Ökomarkt zu erreichen, bei dem es die frischesten Lebensmittel in der ganzen Gegend gibt.

Während der Regen an die Plastikplane meines Jeepneys pladdert, frage ich mich, ob bei diesem Wetter überhaupt Markt ist. Doch als ich ankomme, sind alle da: die beiden lustigen Frauen vom Obststand, der Ökotyp mit dem Biogemüse, die Milchfrau, die in ganz Manila die einzige Quelle für Quark aus Kuhmilch ist, die Fischhändler, bei denen die Milchfische im Bottich zappeln, der Frühstücksstand, bei dem man frisch in Fett gebackene Churros mit heißer Schokolade bekommt. Sogar der Mensch mit den Kanarienvögeln hat seine Käfige aufgebaut.

Zwischen den Ständen sind Plastikplanen gespannt, unter denen sich die Kunden gebückt durchschlängeln. Ab und zu stößt jemand mit dem Kopf an eine Plane, dann ergießt sich ein Wasserschwall über einen unglücklichen Käufer. Meine Turnschuhe quietschen vor Nässe, denn beim Aussteigen aus dem Bus bin ich in einer knietiefen Pfütze gelandet.

Als ich am Gemüsestand einige launige Bemerkungen über das Unwetter, das nun mit neuer Wucht begonnen hat, mache, blicke ich in Pokergesichter. Dann wechselt der Händler das Thema, und weist mich auf den frisch gelieferten Hochlandreis hin. Auf den Philippinen spricht man eben nicht über das Wetter.

TILMAN BAUMGÄRTEL