lob der konferenzschaltung von WIGLAF DROSTE:
Es war ein Samstagnachmittag Anfang der Siebzigerjahre. Das heftig Richtung Pubertät sich entwickelnde Leben war reine Not und Langeweile. Ein Nachbarsjunge auf einem Bonanza-Fahrrad fitschte durch den abgetötet daliegenden Bielefelder Vorort, zu dem das Schicksal mich verurteilt hatte. Ich fuhr in die entgegengesetzte Richtung: Bonanza-Rad war doof, und wer eins fuhr noch mehr, das stand fest.
Unfroh und döselig juckelte ich auf meinem Fünf-Gang-Rennrad herum, hin und her durch die nicht verrinnen wollende Zeit. In einer langen Parkbucht akkurat immer drei Meter hintereinander aufgereiht standen Mittelklassewagen. Männer in Freizeitkleidung, genauer: in blauer oder schwarzer Turnhose und weißem Unterhemd, waren mit – mhhm, leckerlecker – Johnson’s Autopudding zugange. Da wurde gewaschen, geledert, gewienert und poliert: Es wachste zusammen, was zusammen gehört.
Aus jedem Autoradio dröhnte unisono WDR 2, Sport und Musik: „Wir geben jetzt herüber zu Jochen Hageleit. Hallo Jochen, in Bochum ist ein Tor gefallen …?“ Damals, aus dem dutzend Autoradios, hörte ich zum ersten Mal das magische Wort: Konferenzschaltung. Von da an wurden die Samstagnachmittage kürzer, und mittwochs gab es Diskothek im WDR mit Mal Sondock.
Konferenzschaltung –das war klassisches Dampfradio: lahm, verschnarcht, lehmzäh und bräsig – und verglichen mit dem heutigen Fußballkrawall geradezu zauberhaft charmant, leise und unaufdringlich. Die zwischendurch gespielte Musik war schauderhaft launiger Sportrock. Das hat sich bis heute erhalten, und doch: In Schreihalszeiten wie diesen ist die Fußball-Radio-Konferenzschaltung wieder ein Fluchtpunkt – nicht mehr vor dem längst als angenehm empfundenen samstagnachmittäglichen Ereignisvakuum, sondern vor den Dauerlautsprechern der TV-Fußballvermarktung.
Die Verrannung des Radiofußballs allerdings ist weit gehend vollzogen: „Abstiegskampf pur“, rabastert es regelmäßig aus dem Radio heraus. Es ist füchterlich. Ein Substantiv nehmen und „pur“ hintendranklemmen: „Genuss pur“, „Leben pur“, „Sinnlichkeit pur“ – au-er! Und als wäre das Gepure für sich nicht schon zungenlähmend und würgenmachend genug, erinnert es auch an die Existenz der Schmierkäseband Pur, die den gut vorgeschredderten Köpfen ihrer Anhänger mit jedem Stück den letzten Rest gibt. Pur-Chefdenker Hartmut Engler hörte ich einmal in einer Talkshow zu Judy Winter wörtlich sagen, wenn sie mit ihrem Brecht-Programm auch einmal zu ihm nach Bissingen-Bietigheim „getingelt“ käme, würde er sich das wohl ansehen. So sprach der gönnerhafte Schleimlappen, breitbeinig in Lederhosen sitzend. Kann man so was nicht verrenten?
Eine andere Quelle der Qualen aber wurde stillgelegt: das F.A.Z. Business Radio, in dem die stümperhaftesten Versprecher des Landes walteten und den Samstagnachmittagsfußball zerstammelten. Die Fürsten der Phrase sind raus aus dem Äther, und das Wort Konferenzschaltung hat wieder seinen tröstlichen Klang.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen