lexikon der globalisierung : Was bedeutet eigentlich „Produktivität“?
Der Begriff „Produktivität“ ist ursprünglich ein vielfältiger: Ein Lexikon von 1839 weist ihm die „Kraft der Hervorbringung und Fruchtbarkeit“ zu. „Wir waren produktiv“ als Ergebnis einer gemeinsamen Anstrengung bedeutet: gute Ideen mit wenig Aufwand umgesetzt.
Wie viele andere Begriffe ist auch „Produktivität“ durch den globalisierten Kapitalismus verengt worden. Ingenieure sehen „Produktivität“ als quantitatives Verhältnis von Aufwand und Ertrag, als Quotient von Mengen. Als Leitbegriff für die industrielle Revolution und den damit verbundenen Produktionswahn wurde „Produktivität“ auf die Herstellung von Sachen reduziert. Ein aktuelles Lexikon beschreibt „Produktivität“ schließlich als „Ergiebigkeit des Wirtschaftsprozesses“, bezogen auf die Herstellungskosten.
In der Produktionstechnik ging es dabei wesentlich um die Minimierung menschlicher Arbeitskraft (Ideal der Automatisierung) – die angeblich „teure“ Arbeitskraft (auch noch mit eigenem Willen und Zielen jenseits der Kostenreduktion) wird durch leichter beherrschbare Maschinen ersetzt. Die wiederum verbrauchen riesige Energiemengen und produzieren Müll. Verbunden damit ist das Paradigma des ständigen Wachstums, das durch Steigerung der Produktivität immer größere Mengen von Waren hervorbringt. Produktivität“ wurde derart zum wichtigsten Fetisch-Begriff unserer Zeit.
Systematisch ausgeblendet wird dabei die so genannte Reproduktion: Aufziehen und Ausbilden, Pflege von Menschen, aber auch Zerstörung und Erhalt von natürlichem Leben und Lebensräumen. Im Zuge der neoliberalen Globalisierung werden allerdings inzwischen auch Natur, Dienstleistungen und damit auch die bisherige „Reproduktion“ als Ware behandelt und dem Produktivitäts-Fetisch unterworfen: Habermas spricht von „Kolonisierung“ der Lebenswelt.
Wie schon im „Weißbuch 1993“ festgestellt, verursacht dieses Verständnis von Produktivität „Raubbau an Umwelt-Ressourcen“ ebenso wie Arbeitslosigkeit: „Der Produktivitätsgewinn auf Unternehmensebene wird durch entsprechende Kostenbelastung der Allgemeinheit aufgehoben.“ Inzwischen scheint diese Erkenntnis verschüttet. Ein zukunftsfähiger Produktivitätsbegriff müsste (wieder) lebendige Vielfältigkeit und eine „Allianz mit der Natur“ (Bloch) umfassen.
WOLFGANG NEEF
Das Lexikon erscheint immer montags in Zusammenarbeit mit dem Wissenschaftlichen Beirat von Attac