letzte ausfahrt brooklyn: Panzer für den Weg zur Arbeit
Vierradantrieb und Schlaglöcher
Es sind drei Buchstaben, an denen man in New York genauso wenig vorbeikommt wie an dem Auto, das sie bezeichnet: SUV. Man schlägt die Zeitung auf: Warum freut man sich an der Wall Street über die Quartalszahlen der Autohersteller? Ganz Amerika kauft SUVs. Man bekommt ein Antikriegsflugblatt in die Hand gedrückt, und was ist schuld an der ganzen Misere? Die Benzin schluckenden SUVs. Man wird beinahe überfahren, was braust davon? Ein SUV. Im Fernsehen läuft ein beliebiges HipHop-Video, was steht im Hintergrund? Ein SUV.
SUV ist die Abkürzung für Sports Utility Vehicle, und in seiner vollendeten Form kann man sich ein solches Auto wie eine Mischung aus einer Limousine und einem Panzer vorstellen. Die weniger vollendeten Modelle gleichen eher aufgepusteten Geländewagen. Es ist das momentan erfolgreichste Autoformat der Vereinigten Staaten.
Nun gibt es, neben dem Umstand, dass man einen halben Meter höher sitzt als der normale Autofahrer und ein dementsprechend grandioses Omnipotenzgefühl vermittelt bekommt, gute Gründe, sich ausgerechnet mit einem SUV fortzubewegen. Es verbindet schließlich nicht nur das Konzept der Limousine und des Panzers, es nimmt auch Elemente des Busses, des Kombis, der Zugmaschine und des Pick-ups auf, es ist quasi eine Art Überauto. Man kann seine ganze Familie transportieren, und sollte man in einen Unfall verwickelt werden, ist es garantiert immer die andere Partei, die zu Schaden kommt, es sei denn, man hat einen Frontalunfall mit einem richtigen Panzer. Außerdem sind die New Yorker Straßen berüchtigt für ihre Schlaglöcher.
Einige hundert Meter von meiner Wohnung entfernt gibt es allerdings ein Schlagloch, das so groß ist, dass die Anwohner unlängst ein komplettes Sperrmüllsofa hineinschoben. Ein denkwürdiger Anblick. Mitten auf der Kreuzung zweier stark befahrener Straßen schaute das Sofa einige Tage lang aus der Asphaltdecke hervor, als hätte es eine tektonische Verschiebung der Erdmassen aus einem jener sagenumwobenen verlassenen U-Bahn-Stollen heraufgespült, von denen es heißt, dass in ihnen Obdachlose wohnen.
Dann sperrte die Polizei das Loch ab und schob das Sofa an den Straßenrand. Seitdem nutzen es die überirdischen Obdachlosen unter der Hochstraße als Schlafcouch. An diesem Schlagloch wäre sogar ein SUV gescheitert.
Das erste SUV war der Jeep. Frisch mit den Lorbeeren seines erfolgreichen Einsatzes im deutschen Endkampf-Matsch bekränzt, brachte die Firma Jeep nach dem Zweiten Weltkrieg eine ganze Reihe von Autos auf den Markt, die auf dem Chassis des Militärfahrzeugs aufbauten. Im Grunde vereinigte der Jeep schon damals alles, was ein SUV braucht. Einen Vierradantrieb und das Versprechen, dass einen dieses Auto auch dann nicht im Stich lässt, wenn man auf dem Weg zur Arbeit zufälligerweise unter schweren Beschuss gerät.
Doch die eigentliche Geburt des SUVs, wie man es heute an jeder New Yorker Straßenecke sieht, war der große amerikanische Kriegsdoppelschlag der frühen Neunziger: der Golfkrieg und die Riots in Los Angeles. Im Irak kam damals nämlich zum ersten Mal öffentlichkeitswirksam das neue Allzweckfahrzeug der US-Army zum Einsatz, der Hummer. Als dann die Innercity von Los Angeles brannte und das Gefühl in die amerikanischen Vororte einrückte, sich in der Stadt zu bewegen, sei so etwas Ähnliches wie durch ein Bürgerkriegsgebiet zu fahren, schien der Hummer auf einmal genau das richtige Fahrzeug zu sein.
Das war natürlich nicht der einzige Grund. Der Hummer war auch ein prima Statussymbol, nicht nur weil er fast 120.000 Dollar kostete. Er war zu groß, um in eine Standard-Garage zu passen. Wer sich also einen Hummer kaufte und nicht riskieren wollte, dass ein Regenguss seine Einsatzfähigkeit im urban warfare beeinträchtigt, der musste sich gleich noch eine neue Garage bauen lassen. Vor einigen Monaten ist nun der Hummer 02 auf den Markt gekommen, die Zivilversion. Mit Ledersitzen kostet er knapp 52.000 Dollar.
Jeder Autohersteller hat SUVs im Programm, denn sie sind relativ günstig zu bauen, und man kann sie teuer verkaufen. „So profitabel wie Crack-Kokain“ sind sie, schreibt die New York Times. Tatsächlich sehen die Parkplätze vor Autohäusern aus, als würde ein Off-Road-Motorclub gerade seine Jahresversammlung abhalten. Nur unter Umweltschützern sind SUVs nicht sonderlich beliebt, haben sie doch den durchschnittlichen amerikanischen Benzinverbrauch auf den höchsten Stand seit zwanzig Jahren angehoben.
Doch obwohl SUVs das Auto gewordene Symbol all dessen sind, was der Rest der Welt an den Amerikanern nicht leiden kann: eine Art Auto gewordene Ablehnung des Kioto-Protokolls, ein blecherner Unilateralismus, der mühelos jede Grenze ignorieren kann, ein Kutschbock, auf dem man sich cowboylike durch die Welt bewegen kann, ein Auto, das die Sterilität des suburbanen Lebens gleichzeitig auflockert und zementiert – in einer gewissen Weise kann man sich ihrem Charme trotzdem nicht entziehen. Es sind Autos, die sich Mike Davis und Friedrich Kittler bei einem gemeinsamen Frühstück nicht perfekter hätten ausdenken können. TOBIAS RAPP
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen