leserinnenbriefe
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Ein furchteinflößendes Staatsbild

■ betr.: „Die Entbehrlichkeit des Staates“, taz vom 16. 9. 09

Das Staatsbild des Soziologieprofessors Wolfgang Sofsky ist derart furchteinflößend, dass man sich fragen muss, unter welchem Terrorregime der Ärmste lebt. Seit Hobbes’ „Leviathan“ scheint für ihn in der Soziologie nichts mehr gedacht worden zu sein. Jeder einzelne Punkt seiner Argumentation reizt den Etatisten in mir zum Widerspruch. Nicht nur, dass er den Staat in geradezu kindlicher Weise personalisiert und ihm blinde Unterdrückungs- und Bereicherungswut unterstellt, er stattet ihn auch mit einer fantasierten Macht aus, deren Fehlen ja gerade allenthalben beklagt wird.

Erstens wird der Staat sicher immer noch von der übergroßen Mehrheit seiner „Untertanen“ als ein Produkt ihrer Übereinkunft gesehen, das zu ihrem Dienste da ist (oder wenigstens sein sollte). Zweitens haben Staaten ihre liebe Mühe, die Kosten für ihre Aufgaben durch Steuereinnahmen zu decken, da sie sich nur allzu gern von der im Artikel besonders bedauerten Wirtschaft über den Tisch ziehen lassen und sich daher an die immer weniger werdenden Erwerbstätigen halten müssen. Drittens ist im sozialen Zusammenleben eher zu beobachten, dass sich der Staat aus der Gestaltung dieser Sphäre lieber heraushält und zum Beispiel durch die Aushöhlung sozialer Sicherungssysteme die Menschen eher wieder auf ihre persönlichen Beziehungen zurückwirft. Nicht umsonst haben Privatschulen Hochkonjunktur, da sich der Staat mit einem Engagement in diesem und vielen anderen Bereichen auf das Allernötigste beschränkt. Viertens sind Kontrollwahn und Datensammelwut in privaten Unternehmen nicht nur wegen besserer materieller Ausstattung und höherer „Fachkompetenz“, sondern auch wegen vitaler Interessen (zum Beispiel am Kunden) wesentlich weiter entwickelt. Fünftens scheint es als Gegengewicht zur verteufelten prodemokratischen Propaganda eine mindestens ebenso starke (neo-)liberale Antipropaganda zu geben, die aus tausend Rohren beständig die Säulen der demokratischen Übereinkunft anpinkelt: das Hochjubeln der Steuerhinterziehung zum Sport, das Jammern über die alles erstickende Bürokratie, das täglich mehrmalige Publizieren der Börsenkurse in allen Medien, bis auch der Letzte glaubt, dass das ein gültiger Indikator für irgendetwas (vielleicht am Ende sogar für weises Wirtschaften) wäre, der Dauerbeschuss von Einrichtungen wie der umlagefinanzierten staatlichen Rente, das Beklagen einer angeblich astronomischen staatlichen (Steuer-)Geldverschwendung und so weiter und so fort.

Wer nur ein wenig von dem mitbekommt, was so vor sich geht, der sieht auch, wo die Gefahren für die Freiheit lauern: zum Beispiel der Herausbildung demokratisch nicht legitimierter Machtmonopole, die tatsächlich die maximale Kapitalkonzentration und Marktbeherrschung in ihren Satzungen stehen haben – Medienunternehmen, Großbanken, multinationale Konzerne in jeder Branche. Staaten sind in deren Plänen nur lästig (und das nicht konsumierende Volk eigentlich auch). Ich bin beileibe kein treuer Untertan, und diese Republik hat bedenkliche Demokratiedefizite, die in der taz oft genug zur Sprache kommen – aber meine Freiheit möchte ich nicht mit Argumenten wie denen von Wolfgang Sofsky verteidigt sehen. Ärgerlich das. ANDREAS TROGISCH, Berlin

Respekt vor dieser Entscheidung

■ betr.: „Ramelow verzichtet auf Amt“, taz online vom 18. 9. 09

Respekt vor dieser Entscheidung. Die bei Politikern selten zu entdeckende Fähigkeit, sich selbst im Sinne einer Sache tatsächlich zurückzunehmen, zeugt von Niveau und Glaubwürdigkeit – vor allem dies sollte zur persönlichen Qualifikation eines Ministerpräsidentenamt gehören. SUSANNE BAUMSTARK, Berlin

Eine sinnvolle Entscheidung

■ betr.: „Ramelow verzichtet auf Amt“

Herr Ramelows Entscheidung ist, obgleich in der Geschichte der Bundesrepublik exotisch, sinnvoll, denn er macht damit den Weg frei für eine rot-rot-grüne Zusammenarbeit. Auch die Bereitschaft, die von anderen Parteien auf so ungewöhnlich hartnäckige Weise forcierte Vergangenheitsdebatte zu führen (in anderen Kontexten ist da schließlich Schweigen Gold), ist ein wichtiges Signal. Nur so ist eine progressive, an den Bedürfnissen der Menschen ausgerichtete Politik in Thüringen möglich. Nicht mit Althaus’ CDU. Deshalb täte Herr Matschie gut daran, nach dem erfreulichen Signal von Herrn Ramelow zu zeigen, dass auch die SPD begriffen hat, wie man Politik gestalten und nicht erzwingen kann. Er sollte auf seinen Vorschlag eingehen, den Weg für eine rot-rot-grüne Politik in Thüringen frei zu machen, mit einer Frau als erster thüringischer Ministerpräsidentin. AGNES KROL, Frankfurt am Main