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Archiv-Artikel

leserinnenbriefe

Das müssen wir ändern!

■ betr.: Der Depp der Nation“, taz vom 15. 2. 10

Ich bin ganz der Meinung von Guido Westerwelle: Wir leben in spätrömischer und sozialistischer Dekadenz. Das müssen wir ändern! Deshalb: Alle Aktienbesitzer verteilen ab sofort ihre Dividenden (anstrengungsloser Wohlstand, für den sie nicht arbeiten) an die 1-Euro-Jobber (die arbeiten und deshalb mehr haben müssen)! IRENE MEYER-HERBST, Bremen

Dekadente Oberschicht

■ betr.: „Merkel distanziert sich von Westerwelles Hartz-IV-Tiraden“, taz vom 13. 2. 10

Westerwelles Äußerungen zu Hartz IV zeigen, dass er von Geschichte ebenso wenig Ahnung hat wie von der Theorie und Praxis sozialistischer Gesellschaften. Die Geschichtswissenschaft streitet noch heute über die Ursachen des Untergangs des Weströmischen Reiches. Viele sehen die Ursache in einer verbreiteten Dekadenz. Allerdings nicht die des Volkes, wie Westerwelle nahelegt, sondern die einer kleinen reichen Oberschicht. Das gemeine Volk musste hart arbeiten und doch oft hungern. Die Oberschicht beutete das Volk brutal aus und gab sich der Völlerei hin. Wer da nach Vergleichen sucht, findet wohl eher Analogien bei den Großspendern der FDP als bei Hartz-IV-Empfängern. Ein Satz wie „Wer arbeitet, muss mehr haben als derjenige, der nicht arbeitet … Alles andere ist Sozialismus!“, zeigt, dass Westerwelle vom Sozialismus keine Ahnung hat. Die Gesellschaftsformation, in der man ohne eigene Arbeit hohe Einkommen erzielen kann, heißt nicht Sozialismus, sondern Kapitalismus. Man muss nur ein großes Kapitalvermögen haben. ULRICH SEDLACZEK, München

Dekadente Forderungen

■ betr.: „Merkel distanziert sich von Westerwelles Hartz-IV-Tiraden“

Vor allem in Person ihres Parteivorsitzenden Guido Westerwelle scheint sich die FDP mit ihren Forderungen zunehmend ins Abseits zu manövrieren. Ein kurzer Blick auf zwei oft wiederholte Argumente der Liberalen zeigt, wie selbst verschuldet diese Entwicklung der Partei ist. Argument 1: Die FDP hat in den ersten 100 Tagen der Koalition familienfreundliche Politik gemacht und muss sich daher nicht vorhalten lassen, kinder- und familienunfreundliche Politik zu machen! Bei dieser Argumentation werden zwei Dinge durcheinandergebracht. Selbstverständlich führt die Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrages zu einer (etwas) besseren finanziellen Ausstattung einiger Familien, allerdings nicht der wirklich bedürftigen Familien, um die es in der aktuellen Debatte geht. BezieherInnen von Hartz IV wird das Kindergeld als Einkommen angerechnet und somit verrechnet. Mehr Geld bekommen sie also durch die Kindergelderhöhung letztlich nicht. Und von Kinderfreibeträgen profitieren nur diejenigen, die genug verdienen, um überhaupt Steuern zu bezahlen. Argument 2: Arbeit muss sich wieder lohnen, daher dürfen die sozialen Transferleistungen nicht erhöht werden! Angesichts der Lohnentwicklung der letzten Dekaden, inklusive der Entstehung eines großen Niedriglohnsektors, ist dieses Argument skandalös. Denn bei weiter sinkenden Löhnen müsste dies, konsequent gedacht, zu entsprechenden Kürzungen der Transferleistungen führen. In einem Sozialstaat wie der Bundesrepublik Deutschland, in dem die Würde des Menschen oberstes Verfassungsgebot ist, muss die Konsequenz aus dem Urteil des BVerfG vielmehr lauten: Mindestlöhne! Eine Lohnmindesthöhe macht die nachvollziehbare Forderung nach einem Abstand zwischen Löhnen und Arbeitslosengeld II auch unter menschenwürdigen Bedingungen umsetzbar. Als ähnlich populistisch bzw. ideologisch entpuppen sich bei näherem Hinsehen übrigens auch die Positionen von Westerwelle bzw. FDP bezüglich der aktuellen Reformen des Bildungswesens in Hamburg und Berlin. Schon dieser kurze Blick zeigt: Dekadent sind nicht die von Transferleistungen abhängigen Arbeitssuchenden, dekadent und populistisch sind einzig die Forderungen der Westerwelle’schen FDP. MORITZ KRELL, Berlin