leserinnenbriefe :
„Geiz ist geil“
■ betr.: „Pflege ist was für Profis“, taz vom 19. 3. 10
Die Überschrift bringt es auf den Punkt: Die Pflege von Hilfsbedürftigen entspricht mehr als einer einfachen Dienstleistung, weswegen der Staat ziemlich egoistisch und inhuman handelt, die Verantwortung auf die Angehörigen abzuwälzen. Denn mit jener Mogelpackung soll wieder einmal nur Geld gespart werden, anstatt in eine der wichtigsten Herausforderungen für diese Gesellschaft rechtzeitig zu investieren. Eine Entwicklung zum Schlechten unter der Devise „Geiz ist geil“, bei der nicht mehr der Mensch im Mittelpunkt steht, was Pfleger, Patienten und Familien gleichermaßen betrifft, sondern lediglich, die öffentlichen Kassen mit einer Low-Budget-Lösung möglichst wenig zu belasten. Deshalb muss sich Schröder die Kritik gefallen lassen, das Zusammenleben mit ihren Plänen ein Stück sozial ärmer zu machen und auf die demografische Verschiebung eine falsche Antwort zu finden. RASMUS PH. HELT, Hamburg
Unausgegorene Pläne
■ betr.: „Abgeschoben ins Private“, taz vom 19. 3. 10
Ein sehr guter Kommentar, der zeigt, wie unausgegoren der Plan der Familienministerin ist, ein „gesellschaftliches Problem durch mehr privaten Einsatz zu lösen“. Ich finde es nicht gut, alles zu einem Problem zu machen, was keines ist. Menschen werden alt, krank, hilflos, hinfällig, dement. Also kein Problem, weil normal. Und was meint sie mit „mit mehr privatem Einsatz zu lösen“? Selber tun spart Geld für den Staat, oder soll die Pflegeversicherung zweckentfremdet werden? Frau Ministerin weiß nicht, was Pflege bedeutet, was Pflege ist, und sie weiß nicht, was Pflegebedürftige benötigen. Nämlich Zuwendung, Zuwendung und nochmals Zuwendung. Und Wissen, wie man das macht. Und das kann man lernen. Also, wenn sie nicht zufrieden ist, Geld in das System stecken und für Ausbildung und mehr Personal sorgen. Und wenn sie kein Geld geben will bzw. nicht kann, sollte sie sich freuen, dass bisher alles noch gut läuft und den Mund halten. KAROLA SCHRAMM, LG Lelystad, Niederlande
Soziales Bewusstsein geschärft
■ betr.: „Soll jeder ohne Vorbedingung Geld vom Staat bekommen?“, taz vom 20. 3. 10
Die Krise hat unser soziales Bewusstsein geschärft. Es ist mittlerweile gar nicht mehr leicht, Argumente gegen ein bedingungsloses Grundeinkommen zu finden. Stefan Reinecke tut sich sichtlich schwer! Seine Argumente zerbröseln im Licht des klaren und gut begründeten Pro-Statements von Katja Kipping.
„Wenn man das Tauschprinzip von Geben und Nehmen vollständig aushebelt, fördert man die populistische Gefahr.“ Meint Reinecke im Ernst, dass in den fast doppelt so vielen Stunden unbezahlter Arbeit (im Vergleich zu bezahlter, K. Kipping), im täglichen Sein, kein Geben und Nehmen stattfindet? Und wie stark die Ressentiments der erwerbsarbeitenden Neider sind, hängt nicht vom Modus der Grundförderung, sondern von der Höhe der Mindestlöhne im Verhältnis dazu ab! Zweites Argument: Die „Gruppen von jugendlichen Verlierern im Bildungssystem, die sich nichts außer einem Leben am Rand vorstellen können“, eine „sozial komplett abgemeldete Unterschicht“, könnte sich „verfestigen“. Dies ist doch eher bei dem momentanen „weiter so“ garantiert, weil dieses System die Verlierer erst zu Verlierern macht, abstempelt, schikaniert, diskriminiert und abschiebt! Wenn wir nicht mehr an das positive Potenzial der Menschen glauben, ist es aus! SABINE MIEHE, Marburg
Eine Kultur-(R)Evolution
■ betr.: „Soll jeder ohne Vorbedingung Geld vom Staat bekommen?“, taz vom 20. 3. 10
Natürlich würde eine komplette Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens von heute auf morgen sicherlich die von Reinecke angeführte „soziale Gettoisierung“ zementieren. Ja, das bedingungslose Grundeinkommen stellt nicht weniger als eine Kultur-(R)Evolution dar, die sich über einen Zeitraum von mindestens ein bis zwei Generationen verfestigen muss. Erst dann wird dieses vermeintliche „Druck ausüben müssen“ aus den Köpfen der Menschen verschwunden sein und damit wird es jedem Einzelnen erst möglich sein, sein volles, individuelles Potenzial zum Wohle der Gesellschaft einzubringen. Das ist doch eine wunderbare Vision für die Zukunft der Menschheit, an der wir uns aufrichten können. Wenn die „Gettoisierten“ von heute durch ein bedingungsloses Grundeinkommen der Chancenlosigkeit entkommen, werden auch sie wieder Mut zu Visionen haben. LUCI und ANDREAS JASCHKE, Freiburg