piwik no script img

Archiv-Artikel

leserinnenbriefe

Gewese um Minderheitsregierung

■ betr.: „In NRW kann gewählt werden“, „Die Chance der Linken in Düsseldorf“, taz vom 12. 7. 10

Wieso sollen Attacken aus der CDU und Warnungen aus der FDP so viel schwerer wiegen als Skepsis auf Seiten der Linken, wenn es um punktuelle Unterstützung der sich abzeichnenden Minderheitsregierung von Frau Kraft geht? Und was spielt das schon für einen Rolle angesichts der theoretisch notwendigen Unterstützung von einem einzigen Abgeordneten aus nur einer einzigen dieser drei Oppositionsparteien in lediglich den wenigen Abstimmungen, bei denen es auf eine absolute Mehrheit aller im Parlament vertretenen Abgeordneten ankommt?

Und wozu überhaupt dieses Gewese um eine Minderheitsregierung, wie sie nicht nur in etlichen anderen EU-Ländern schon oft praktiziert wurde, sondern auch etwa vor noch nicht allzu langer Zeit eine ganze Wahlperiode lang in Sachsen-Anhalt unter Leitung von Herrn Höppner? Und ist es denn nicht gerade eine solche Minderheitsregierung, die sich manchmal ihre Mehrheit zusammensuchen muss, die ausnahmsweise endlich einmal den Abgeordneten eines Parlaments die Möglichkeit gibt, ihr Mandat so auszuüben, wie es in allen Verfassungen parlamentarisch verfasster Staaten vorgesehen ist? Und was haben eigentlich Journalisten davon, ihren Lesern immer wieder einreden zu wollen, dass das Gegenteil, eine Mehrheitskoalitionsregierung mit faktischem Fraktionszwang, „demokratischer“ sei? ORTWIN ZEITLINGER, Berlin

Eine falsche Glückserwartung

■ betr.: „Präimplantationsdiagnostik. Familienministerin will breite Debatte“, taz vom 12. 7. 10

Familienministerin Schröder will eine breite Debatte. Hier mein Beitrag: Ich halte das alles für falsch. Die medizinische Zunft sollte sich viel mehr zur Gewohnheit machen, Gedanken über die Zeugungsunfähigkeit und Unfruchtbarkeit in unserer Gesellschaft anzustellen – es gibt für diese Symptome multifaktorielle Gründe –, anstatt mit modernen Techniken international mit Kindererzeugern zu wetteifern. Das Problem der Kinderlosigkeit tritt ja hauptsächlich in den reichen, westlichen, europäischen Staaten auf.

Wieso nicht bei den einfacher und bescheidener lebenden Menschen, für die ihre Kinder noch eine Art Lebensversicherung bedeuten? Die Präimplantation fördert zwar die Anerkennung der Mediziner und bringt vor allem Geld! Aber Glück für sonst Kinderlose? Ist das nicht eine falsche Glückserwartung? Jahrelanges Bangen, seelische und physische Belastungen und die Kosten, die entstehen – heißt das nicht, das Glück, wenn es denn eines ist, erzwingen wollen? Ein Kind um jeden Preis?

Und sind Kinder nicht auch schon längst Statussymbole geworden in unserer Gesellschaft? Wir haben es hier mit allzu großer Bereitwilligkeit der Ärzte und falschem Mitleid zu tun! Kinderlosigkeit ist kein Weltuntergang und lässt sich gelegentlich auch psychotherapeutisch klären. SIGRID JOHN TUMLER, Berlin

Die Starken zur Kasse bitten

■ betr.: „Karstadt-Milliardär Nicolas Berggruen: „Reiche sollen mehr bezahlen‘“, taz vom 14. 7. 10

Die These von Nicolas Berggrün führt in die richtige Richtung und bedeutet eine wohltuende Alternative zu Aussagen von süddeutschen Vorzeigeunternehmern, die bei jeder Steuerdebatte damit drohen, endgültig in andere Länder wie die Schweiz auszuwandern. Denn der vielbeschworene Zusammenhalt der Gesellschaft ist nicht ohne Zutun der starken Schultern zu haben und setzt voraus, dass jene die Hauptlast bei der Finanzierung des Gemeinwesens tragen. Schaut man sich jedoch in der deutschen Realität um, erkennt man, dass dieses Bild zunehmend Risse bekommt. Denn gerade die Besteuerung von nicht selbst erarbeiteten Einkünften wie Vermögen und Erbschaften liegt hierzulande weit unter dem europäischen Durchschnitt. Was ein wesentlicher Grund dafür sein dürfte, dass trotz gegenteiliger Ankündigungen eine Bildungsrepublik nicht zustande kommt. Denn jene setzt ein Budget voraus, auf das die Bundesregierung freiwillig verzichtet! RASMUS PH. HELT, Hamburg

Knurren gegen Herdengeblök

■ betr.: „Ich will nicht Jutta Ditfurth sein“, taz zwei vom 13. 7. 10

Lieber Herr Klingelschmitt, wenn Sie sich, wie angekündigt, nicht mehr für Dinge außerhalb Ihres eigenen Gesichtsfeldes interessieren möchten, dann verbrämen Sie bitte nicht Ihre eigene, womöglich aus altersbedingter Fehlsichtigkeit gespeiste Unfähigkeit, links von rechts zu unterscheiden, zur Weigerung anderer, ein angebliches neues Deutschlandbild wahrzunehmen. Solange mir ein solches noch immer von Leuten wie Martin Walser eingeprügelt werden soll – „… dieses Bild [Schweinsteiger im Gras] hat es verdient, gespeichert zu werden, überall“, zitiert nach Rudolf Walther, siehe „Wahrheit“ –, ändert sich, außer in Nuancen, leider nichts an der deutschen Einfalt. Die permanente mediale Beschwörung einer weltoffenen und toleranten Gesellschaft gerät nur zum Krampf, wenn sie sich nicht auch im Alltag manifestiert – und durch eine schwarz-rot-goldene Uniformierung lässt sich keine Vielfalt herstellen, egal wie heterogen einzelne Bestandteile der Masse auch sein mögen.

Und da Sie den nicht wenigen Kritikern des soeben beendeten Sommerkarnevals wiederholt einen „Beißreflex“ unterstellen und diese somit auf das Niveau von Hunden herabwürdigen, so sei abschließend konstatiert: Ein gelegentliches Knurren ist affirmativem Hordengeblök jederzeit vorzuziehen. FRANK PÖRSCHKE, Hattingen