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Archiv-Artikel

leserinnenbriefe

Klagen richtig und nötig

■ betr.: „Das Versagen der Konsensmaschine“, „Das Armutszeugnis“, „Klagen lohnt nicht“, taz vom 10. 2. 11

Für die Armgemachten auf Hartz IV oder mit kleiner Rente interessiert sich niemand, nicht die Hartz-IV-Parteien, kaum die Gewerkschaften, nur wenige in Sozial- und Wohlfahrtsverbänden. Würden sie nicht seit sechs Jahren massiv dafür sorgen, in den Medien und vor Gericht präsent zu sein, kein Hahn würde mehr nach ihnen krähen.

Klagen sind jetzt richtig und nötig: juristisch deswegen, weil Prof. Münder, Herausgeber des bekannten SGB-II-Kommentars, meint, seit dem 1. Januar gelte „Richterrecht“, weil der Zustand gesetzlos sei. Auch RiLSG Hessen Borchert (Mitverursacher der Entscheidung des BVerfG) meint, es bestehe seitdem kein verfassungsgemäßer Zustand mehr. Politisch richtig und nötig deswegen, weil der Zustand schon seit mehr als sechs Jahren verfassungswidrig ist.

Mit Hartz IV und der Agenda 2010 starb nicht nur das Paradigma des „Sozialstaats“, auch der Rechtsstaat ist stark beschädigt. Aktuell geht es nicht nur um den Regelsatz, es geht auch um die Beschneidung elementarer Verfahrensrechte.

Mit dem vorliegenden Referentenentwurf SGB II – E kommt es zur umfassendsten und einschneidendsten Optimierung des SGB II überhaupt. Im Rechtsstaat sind die ausführenden Organe an Recht und Gesetz gebunden. Es bestehen gewisse Aussichten, dass ein Zuwiderhandeln sanktioniert wird und dass die Realität sich (teils verzögert) an den Vorschriften ausrichtet. Zwar haben wir an der Verwaltungspraxis der SGB-II-Behörden durchgehend und ebenso zweifelnd wie verzweifelt erlebt, dass es sich hier offensichtlich um rechtsfreie Räume handelt. Wir haben aber selten realisiert, dass es sich um gewollte Zustände, um ein breit angelegtes Experimentierfeld handelt. Das wird jetzt vorläufig abgeschlossen. Jetzt wird das Gesetz an die Realität angepasst. NORBERT HERMANN, ehem. Lehrbeauftragter für Sozialrecht, unabhängiger Sozialberater, Mitglied im KO-Kreis der „Bundesarbeitsgemeinschaft prekäre Lebenslagen“, Bochum

Peanuts dauern länger

■ betr.: „Hartz IV wird weiter vermittelt“, taz vom 12. 2. 10

Man muss unseren Politikern auch Verständnis entgegenbringen, dass es bei den Hartz-IV-Verhandlungen so lange dauert. Wer gewohnt ist, in mehrstelligen Milliardenbeträgen zu denken, hat halt seine liebe Mühe, in solchen Peanutsbeträgen zu denken.

VOLKER FREYSTEDT, München

Mindestlohn und „equal pay“

■ betr.: „Hartz IV wird weiter vermittelt“, „Lob des Föderalismus“, taz vom 13. 2. 11

Die Regierung, auch Frau von der Leyen, hat bei der Vereidigung zu Ministern geschworen, Schaden, auch materiellen, von Volk und Staat abzuwenden. Bei der Hartz-IV- und Mindestlohn-Debatte scheint aber das Gegenteil der Fall zu sein. Wenn nämlich Geringverdiener zusätzlich zu ihrem Bruttolohn noch beim Staat bzw. der Kommune um Geld betteln müssen, um über die Runden zu kommen, so profitiert davon nur der private Arbeitgeber. Die Kosten übernimmt der Staat, damit der private Unternehmer seinen Gewinn erhöhen kann. Sieht so Schaden abwenden vom Staat aus?

Mit Mindestlohn und equal pay in der Zeitarbeitsbranche werden Ausgaben der Kommunen vermieden und gehen zu Lasten der Privatwirtschaft. Die Zeitarbeitsbranche fordert selbst den Mindestlohn. Zeitarbeit bleibt dann trotzdem ein wichtiges Instrument, um Stoßzeiten durch flexiblen Personaleinsatz abzufedern, was auch die ureigentliche Aufgabe dieser Branche ist. Auf den Arbeitgeber kämen durch Mindestlohn und equal pay in Zukunft höhere Kosten für Leiharbeit zu und es rentiert sich dann eher, den Mitarbeiter gleich fest einzustellen. BRIGITTE HAGEMANN-STEITZ, Gelnhausen

Verzweifeln an der SPD

■ betr.: „Hartz IV: Beck irritiert die SPD“, taz vom 14. 2. 11

Man könnte verzweifeln an dieser SPD.

Wie schon im ersten Vermittlungsausschuss lässt sie die Menschen, die jetzt am dringendsten ihre Unterstützung brauchen, im Stich. Die Regelsätze, so sind sich die Wohlfahrtsverbände und auch die Grünen im Bundestag einig, müssen eigentlich über 400 Euro liegen. Wie man da eine Kürzung auf 370 Euro vertreten kann, kann und wird niemand verstehen können.

Und am Regelsatz wird sich nach einer Einigung auch das Gefühl festmachen, ob mehr Gerechtigkeit erreicht wurde. Die SPD lässt sich erneut von der CDU treiben. Auf der Strecke bleiben erneut die, die sich fast nicht wehren können und die Lücken, die diese Verhandlungsrunde in ihren Lebensunterhalt treibt, weiterhin mit abgelaufenen Lebensmitteln bei der Tafel und Darlehen für den Kühlschrank beim Jobcenter decken müssen. JÖRG RUPP, Malsch