leseprobe : Tod auf Juist
Eigentlich hätte die Erzählerin es nicht nötig: sämtliche politisch korrekten Ingredientien in den Juist-Krimi Das Hagebuttenmädchen zu flechten, derer sie habhaft werden konnte. Denn das Rätsel um den Mord an einem Antiquitätenhändler (überflüssige Effekthascherei, dass er schwul ist) birgt genug Spannung, um pur durch 255 Seiten zu tragen.
Völlig verdreht wird Antiquar Minnert eines Morgens in seinem eigenen Schaufenster gefunden. Erstickt ist er; die Rückwand hatte jemand fest verschlossen. Und natürlich wuchern die Gerüchte der Insulaner; etliche haben gleich Mordmotive parat. Zum Beispiel die 15 Jahre alte Geschichte der Liaison des Ermordeten mit Astrid, die er benutzte, um sich an deren Bruder heranzumachen. Ob sie in den Mord verwickelt ist – man erfährt es spät; geschickt platziert die Autorin Auslassungen im stream of consciousness der Figuren. Und so entpuppt sich Harmlosigkeit als Gerissenheit, Ahnungslosigkeit als Berechnung – und wiederum auch nicht, wissen einige der Figuren doch selbst nicht recht, was sie tun. Oder simulieren sie das bloß?
Man weiß es nicht, und genau darin liegt die Spannung des Romans, der völlig überflüssigerweise um eine Liebesgeschichte zwischen der aus Aurich eingeflogenen Kommissarin und ihrem auf die Insel versetzten Ex-Kollegen angereichert wird. Traurig auch, dass diese deus-ex-machina-Liaison als Motiv für einen unüberlegten Schuss des Polizisten aus der Dienstwaffe herhalten muss. Aber er wird nicht ernsthaft belangt. Lediglich die Nach-oben-Versetzung wird ihm verwehrt; so viel Anstand muss sein.
Ein solide spannendes Buch, das auch ohne den explizit kurdischen Straßenkehrer und den rechtsradikalen Investor funktioniert hätte. Solche Ettikettierungen sind Tünche, die vom Zentrum – dem Rätsel um ein verschollenes Manuskript Theodor Storms – ablenken. Warum nur hat die Autorin ihrem eigenen Plot nicht getraut? PS
Sandra Lüpkes: „Das Hagebuttenmädchen.“ Reinbek 2004; 255 S., 7,90 Euro