leere kassen : Die Krise als Chance
Was tun, wenn das Loch in der Kasse immer größer wird? Bei sich zu Hause wissen es die Konsumenten ganz genau: Sie verzichten kurzerhand auf den Kauf eines neuen Autos oder Fernsehers, sie buchen den nächsten Urlaub zum Billigtarif und kaufen ihre Lebensmittel bei Aldi ein. „Angstsparen“ nennen die Wirtschaftsforscher dieses Phänomen, das derzeit in einen konjunkturellen Teufelskreis zu münden droht.
Kommentar von RALPH BOLLMANN
Doch im Politikbetrieb gelten andere Regeln. Weil der Staat – im Gegensatz zum Endverbraucher – unbegrenzt Kredit erhält, brechen in der Krise alle Dämme. Ist die Schuldenwelle erst hoch genug, wird jegliche Ausgabendisziplin hinweggespült. Es hat ja ohnehin alles keinen Zweck mehr. Diese Haltung führt schnurstracks in die Schuldenfalle. Selbst wenn die Konjunktur eines Tages wieder anspringt, rauben die fälligen Zinszahlungen jeden politischen Spielraum.
Trotzdem werden beispielsweise die Gewerkschaften wieder nach dem vermeintlich leichten Ausweg rufen, wenn sie an diesem Wochenende gegen Schröders Agenda 2010 protestieren. Schon am 1. Mai haben sie es an Vergleichen mit der Schlussphase der Weimarer Republik nicht fehlen lassen. Schon damals, so der Tenor, habe Heinrich Brüning die Demokratie kaputtgespart. Aber es nützt nichts, den Konsumenten jetzt einfach nur mehr Geld zu geben, wenn sie es mangels Perspektive gar nicht ausgeben. Genauso wenig Sinn macht es jedoch, konzeptionslos überall dort zu kürzen, wo der geringste Widerstand zu erwarten ist.
Die Krise kann allerdings auch eine Chance sein – wenn es gelingt, mit ihrer Hilfe endlich jene Strukturreformen durchzusetzen, die schon lange vor dem aktuellen Desaster auf der Tagesordnung standen. Spätestens seit der gestrigen Steuerschätzung wissen wir, dass wir uns Milliardensubventionen für sterbende Branchen wie die Steinkohle eben einfach nicht mehr leisten können. Dass wir jeden Euro dreimal umdrehen müssen, bevor wir ihn in ein Rentensystem stecken, das in seiner heutigen Form ohnehin keine Zukunft hat. Und dass wir uns die Debatte über ein steuerfinanziertes Sozialsystem nicht dadurch verbieten lassen sollten, dass die Regierung bei der Mehrwertsteuer nicht wortbrüchig werden will – und das Thema bigott den Ländervertretern im Bundesrat überlässt. Nur wenn es gelingt, solche langfristigen Reformen auf den Weg zu bringen, lassen sich kurzfristig auch höhere Schulden in Kauf nehmen.