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kunstraumZeugnis der 60er

Leonard Freed, „Die Jugendgruppe“, Düsseldorf, 1961 Foto: Courtesy Jüdisches Museum Berlin

Der 1929 in New York in eine jüdische Familie geborene Fotograf Leonard Freed lernte Brigitte Klück 1956 auf dem Petersplatz in Rom kennen und heiratete sie kurz darauf. In ihrer Familie wurde über Hunger, Flucht und Vertreibung aus Schlesien gesprochen, nicht aber über die Verbrechen der Nazis und der Wehrmacht geschweige denn über das Schicksal der Juden. Leonard Freed wollte die Ignoranz der Deutschen nicht hinnehmen. Um sie mit ihrer jüdischen Minderheit bekannt zu machen, reiste er daher Anfang der 1960er Jahre nach Westdeutschland. Aus den entstandenen Fotografien wählte Freed 52 Aufnahmen aus, die er 1965 in dem Bildband „Deutsche Juden heute“ veröffentlichte. Die ganze Serie ist nun im Jüdischen Museum zu sehen.

Leonard Freed fotografiert sachlich, dabei sehr kunstvoll. Er liebt das Spiel von Licht und Schatten, betont es in kontrastreichen Abzügen und hat stets den interessanten, nicht den naheliegenden Ausschnitt im Blick. Kurz, seine Aufnahmen sind alles andere als trivial, auch und gerade wenn sie den Alltag dokumentieren. Und immer wieder kommt die Vergangenheit ins Bild. Am einprägsamsten in der heiteren Atmosphäre eines sommerlichen Ausflugs, wenn auf einem Arm die eintätowierte KZ-Nummer sichtbar wird, weil das Kleid kurze Ärmel hat. Eher beiläufig in den Bildern von der Wiederöffnung einer Synagoge, oder dem vernachlässigten Konzentrationslager, das längst noch nicht Gedenkstätte ist.

Freed beobachtet eine Bar-Mitzwa-Feier in Düsseldorf, den Simchat-Tora-Ball in Köln, Kinder im Sportverein Makkabi, er porträtiert Künstler und Autoren wie Fritz Kortner, Therese Giese oder Ludwig Marcuse. Eine ganze Reihe von Fotografien entsteht in der polnischen Gebetsstube. Die Gläubigen müssen als displaced persons in Deutschland gestrandet sein. Hier zu leben, war wohl für die meisten in den kleinen jüdischen Gemeinden nicht der sehnlichste Wunsch. Nur manche versuchten das Geschäft, das sie vor 1933 geführt hatten, wieder aufzunehmen wie etwa Hugo Spiegel. Der Viehhändler aus Warendorf im Münsterland wird als erster jüdischer Schützenkönig Deutschlands porträtiert.

Leonard Freed: Deutsche Juden heute. Eric F. Ross-Galerie, Jüdisches Museum, bis 27. 4., tgl. 10–18 Uhr, letzter Einlass 17 Uhr, Lindenstr. 9–14; Kuratorinnenführung mit Leonore Maier oder Theresia Ziehe: 13.+27. 3., je 16 Uhr; 18. 3.: Deutsche Juden heute – eine Diskussion aus den 1960er Jahren, Podiums­gespräch

Die Kolumne: taz.de/tazplan

Brigitte Werneburg

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