kunstraum: Tastend im Archiv
Das Schweigen der Archive, davon handelte die Gegenwartskunst vor Kurzem noch viel. Von den Leerstellen der Geschichtsschreibung und von denjenigen, die darin verloren gegangen sind. Wer weiß etwa von den Opfern des „Malayan Emergency“ (1948–1960), jener Zeit als Kommunisten Malayas in bewaffneten Aktionen gegen die britische Kolonialherrschaft vorgingen? Die aus Singapur kommende Künstlerin Sim Chi Yinerinnert in der Galerie Zilbermanan ihren Großvater, ein linker Journalist, der von Antikommunisten während der Zeit dieses Notstands ermordet wurde. Briefe und Postkarten, aus London, aus Berlin, hängt sie an die Wände. Darauf vermengt sie heutige Eindrücke als Reisende mit Fragen an die Vergangenheit, Bemerkungen über das nicht anzugewöhnende europäische Essen überschneiden sich mit Überlegungen, warum die Familie nie über den Mord sprechen konnte.
Die Gruppenausstellung „Swaying the Current“ ist nicht ganz im Trend, ist doch das Zweifelnde, Suchende, Spekulative der sieben teilnehmenden Künstler:innen mittlerweile von einer politischen Kunst abgelöst worden, die auf vermeintliche Wahrheiten oder Identifizierung setzt. Es ist aber gut, dass es in dieser Ausstellung keine Gewissheiten über Konflikte gibt, von denen man höchstens eine Ahnung hat. Man bleibt Außenstehende:r.
Auch bei den hyperkonkreten Grafitzeichnungen von Cengiz Tekin, die sich durch alle Galerieräume ziehen und alleine schon einen Besuch wert sind. Fotorealistisch in Schwarz-Weiß, wie der gekrümmte Nagel in der Wand einen Schatten wirft, wie ein kleines Bild der Mutter an den Lichtschalter geklemmt ist, dann ein Gewehr am Haken hängt. Tekin fertigte diese Zeichnungen 2017 an, als in seiner Heimatstadt Diyarbakır ein kriegsartiger Konflikt zwischen dem türkischen Staat und der kurdischen Bewegung ausgebrochen war. In ihrer Dinglichkeit machen die Zeichnungen einen Moment der Abgeschiedenheit während eines Alltags in der Krise plötzlich greifbar.
Swaying the Current. Alpin Arda Bağcık, Aziza Kadyri,İz Öztat, Sandra del Pilar, Neriman Polat, Sim Chi Yin, Cengiz Tekin. Zilberman Gallery, bis 15. Februar, Di.– Sa. 11–18 Uhr, Schlüterstr. 45
Sophie Jung
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