kuckensema: auf bremens leinwand : Michael Winterbottoms wahre Legende des Punkrock
Beim ersten Auftritt der „Sex Pistols“ in Manchester waren 1976 gerade mal 42 Zuhörer anwesend. Aber beim letzten Abendmahl gab es auch nur 12 Apostel! Und die happy few, die Johnny Rottens Epiphanie erleben durften, kamen verwandelt aus dem schäbigen kleinen Club. Unter ihnen waren die Gründungsmitglieder der Band „Joy Division“, Mike Hucknell von „Simply Red“ und auchTony Wilson, der Held des Films 24 Hour Party People von Michael Winterbottom. Der ist jetzt im Kino 46 zu sehen.
War Manchester damals wirklich der Nabel der Pop-Szene und so einflussreich wie das Venedig der Renaissance? So redet zumindest Wilson über diese Ära. Ein merkwürdiger Held: Er war Fernsehmoderator und hatte zweifellos die richtige Nase, aber wenig Geschäftsinn: Zwar wurde er zu einem der Musik-Gurus der 80er, führte Gruppen wie „Joy Division“, „New Order“ und „Happy Mondays“ zum Erfolg, begründete mit seinem Club „The Hacienda“ die Rave-Kultur mit.Trotzdem musste er selbst auf dem Höhepunkt seiner Karriere noch in albernen Fernsehshows auftreten.
Aber stimmt das alles? Schwer zu ergründen, denn Tony Wilson hat im Film das Mikro fest in der Hand – als ein typisch postmoderner „unzuverlässiger Erzähler“. Die Theorie dazu reicht er auch gleich mit: „Wenn du Fakten und Legende hast, schreib immer die Legende!“, zitiert er John Ford, nachdem eine Nebenfigur gerade mitten in einer vermeintlich wahren Szene direkt in die Kamera gesagt hat: „Daran kann ich mich aber überhaupt nicht erinnern!“
Michael Winterbottom hat in 24 Hour Party People die Szene-Historie Manchesters nachinszeniert: Dabei verkörpert der Schauspieler Steve Coogan die schillernde Figur Wilsons mit einer sehr gewinnenden Mischung aus Manie und Selbstironie. Ein typisch britischer Held, meist als einziger mit Schlips und Kragen, immer den richtigen Spruch auf den Lippen, zugleich gewiefter Stratege und anarchischer Romantiker, der am letzten Abend in seinem Pleite gegangenen Club in einer großartigen, selbstzerstörerischen Geste die Gäste auffordert, Sound-Anlage und Büros zu plündern. Und Winterbottom liebt ihn so offensichtlich, dass er ihn ungetrübt strahlen lässt: Das „based on a true story“ ist eher auf dem ersten Wort zu betonen.
Doch die „basic facts“ stimmen. Tony Wilson war tatsächlich von 1972 bis 92 das Hirn der nordenglischen Music-Szene, und der Regisseur hat kaum unterscheidbar Originalaufnahmen aus der Zeit mit eigenen Einstellungen montiert. Wim Wenders langjähriger Kameramann Robby Müller hat den Film auf Digital-Video in dreckigen,virtuos verwackelten Bildern aufgenommen, die alles ähnlich rau und laut aussehen lassen wie die gespielte Musik klingt. Spätestens, wenn Wilson in einer Szene stolz darüber ist, dass so wenige Leute zu einem von ihm organisierten Konzert kommen, wird 24 Hour Party People auch zu einem versteckten Selbstporträt des Regisseurs. Denn auch Winterbottoms Filme finden nur ein kleines Publikum. So lief In this World trotz goldenem Berlinalebären auch in Deutschland enttäuschend schlecht, und 24 Hour Party People von 2002 ist hier nur zu sehen, weil sich 20 Kommunalkinos zusammengetan und auf eigene Rechnung eine Kopie geholt haben. Wilfried Hippen
Läuft im Kino 46. Termine siehe Kino-taz