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Archiv-Artikel

kuckensema: auf Bremens Leinwand Schieben, schubsen, ziehen, zerren, drücken, reißen, einfädeln?

Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes kommt. So heißt es bei Matthäus, Kapitel 19, Vers 24. Den Film zum Worte des HErrn hat Valeria Bruni-Tedeschi gedreht.

Unsicher lächelnd, den Blick zur Seite gewandt, das ist die Protagonistin, Federica, gespielt von Bruni-Tedeschi selbst. Und Federica fürchtet, dass der Bibelsatz auch für sie gilt. 100.000 Francs täglich hat sie zur Verfügung, aber zufrieden ist sie trotzdem nicht. Sie kommt aus der Familie eines steinreichen italienischen Kapitalisten, der auf dem Sterbebett liegt. In Paris. Dorthin ist sie geflohen, neun Jahre jung, samt mamma, Bruder und Schwester. Italien schien für pápa zu gefährlich. Als Unternehmer, der auf einen Schlag 3000 Angestellte entlassen hatte, fürchtete er zurecht um das Wohl seiner Familie. Paris ist das Paradies, versprachen die Eltern den unwilligen Kindern. Und: „Ihr seid privilegiert. Das ist ein unschätzbares Glück. Ihr habt also überhaupt kein Recht zu weinen.“

Jetzt ist Federica Ende 30 und – kein Wunder – ihre Familie ist ihr fremd. Auch das Geld ist eine einzige Belastung. Ist da und sagt: Den anderen geht‘s schlecht, und dir geht‘s gut. Gut geht‘s ihr dann auch nicht mehr. Dann setzt sie sich in ein Café und schreibt auf, was sie beobachtet; „traurig, lustig und doch kompliziert“, aber auch belanglos.

Die ruhige Kamera folgt Federica auf Schritt und Tritt. Es gibt keine Geheimnisse zu lüften, nichts aufzudecken. Musik ist puristisches Ornament. Federica heult: sensibles Piano. Euphorie mit dem Liebsten: Beide schmettern die Internationale, in aller Öffentlichkeit, versteht sich. Zwecks Überschwangs und savoir-vivre.

Anklänge an frühere Rollen, Zitate anderer Filme – so verfremdet Tedeschi ihr Selbstporträt. Doch es erlaubt Ausflüge in Vergangenheit und Tagtraum ihres Alter Egos Federica. Die sind Teil der Biografie, Teil des Schuldkomplexes einer reichen Tochter, die erwachsen sein will: Sie stellt sich vor, als Kind von kommunistischen Kidnappern entführt worden zu sein. Und dann war aber plötzlich alles gut, die waren total nett zu ihr, sind von der Familie eingeladen worden und alle sitzen feiernd und trinkend am Tisch, heben die Gläser und singen: „El pueblo unido…“

Die Rêverie solitaire findet ihre Entsprechung in der Wirklichkeit: Den Klassenkampf an den Sonntagstisch trägt auch Pierre, Federicas proletarischer Verlobter. Er erzählt von seinem Vater, der „vor Erschöpfung gestorben ist. 30 Jahre jeden Tag zehn Stunden am Band.“ Stille. Dann will die Mutter einen Witz erzählen.

So geht’s halt zu in Federicas Familie. Und dafür schämt sie sich. Denn in diesen peinlichen Momenten erkennt sie sich selbst wieder. Und leidet daran. Gerade in einer Familie, in der sich alle durch stete Abgrenzung voneinander definieren wollen. Doch das klappt auch deshalb nicht, weil die einfach alle viel zuviel Geld haben – und alle gleichermaßen in derselben eleusischen Realitätsferne nebeneinander dahin dämmern.

Mit dieser Vorführung der bourgeoisen Familienpsyche als Fassade, hinter der Intrige und Isolation gedeihen, gerät Tedeschis Regiedebüt zur Hommage an Claude Chabrol. Die geht ihr aber so leicht von der Hand, dass der Zuschauer gleichzeitig über Federicas Luxusprobleme lacht und sich in ihnen wiederfindet.

So ist ihr Leben eine einzige unterhaltsame Suche nach Erlösung aus diesem engen Netz. Erlösung, die sie nicht findet. Das Nadelöhr ist zu eng. Robert Best

„Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr“ läuft im Cinema. Alle Filme und alle Termine siehe Kino-taz