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kritisch gesehenBetrug am Glück

Ella Carina Werner trägt aus ihrem Band mit Tiergedichten vor. Die sind humoristisch und angeblich auch feministisch

Nichts spricht gegen einen Ablachabend. Wer sich mit Ella Carina Werners feministisch angehauchten Blödelversen, Juliane Piepers farbig-fröhlichen Illustrationen und einem Kaltgektränk angesichts der Schrecken der Welt narkotisieren will, der kommt heute im Thalia-Nachtasyl auf seine Kosten. Dort trägt die Humoristin aus ihrem frisch erschienenen Band mit 53 Stegreifgedichten über Tiere vor. Das beste fungiert zugleich ungekürzt als Titel: „Der Hahn erläutert unentwegt der Henne, wie man Eier legt“, lautet es. Das ist lustig. Aber schreit das auch nach einer Kritik?

Lyrik tut sich schwer, Re­zen­sen­t*in­nen zu finden. Ausnahme sind die Gedichtbändchen von Promis oder Be­woh­ne­r*in­nen der Medienblase wie Titanic-Mitherausgeberin Werner. Auf deren Besprechung drängen dann von hie und da Freunde und Bekannte, die Freun­d*in­nen und Bekannte der Autorin kennen. Dieses kapillare Marketing sorgt dafür, dass solche belanglosen Bände häufiger besprochen werden als wichtige lyrische Neuerscheinungen der Saison wie Lydia Dahers im Herbst publiziertes Buch „Wo wir bleiben“ oder Slata Roschals ganz druckfrischer Band „Ich brauche einen Waffenschein ein neues bitteres Parfüm ein Haus in dem mich keiner kennt“.

Dabei wäre gerade über das doch sehr viel zu sagen. Zum Beispiel, weil es die Subgattung Tiergedicht – in schöner Beiläufigkeit – zumindest anspielt. „Übrigens essen Kohlmeisen Gehirne anderer Vögel“, heißt es da, gar nicht niedlich. Oder, in einem Frühlingsgedicht: „Aufgetaute Larven legen in Blumenkübeln Marskanäle an“. Die Weichtierwelt bleibt, wie schon im Vorgänger-Band, eine wichtige Bezugsgröße. Und deshalb ist es selbstverständlich von hintergründiger Ironie, wenn Roschal in einem Verspaar apodiktisch behauptet: „Der Lebensweise der Libellen/Stehen wir gleichgültig gegenüber“. Fast so gleichgültig wie guter Lyrik gegenüber.

Diese subtile Komik – die offenkundig ebenso sehr zum Weinen wie zum Lachen verführen will – gehört zur Tradition guter Tiergedichte. Dass diese oft einen emanzipatorischen Charakter haben, ist dabei kein Zufall: Ihre Verse versuchen zwischen dem Ich und dem Tier als einem Medium des radikal Anderen eine unmögliche Beziehung herzustellen. Manchmal gelingt dieses Wunder und öffnet sich zu einem Lachen des Entrinnens aus der Gewalt. Es lässt sich aber auch an seinem Scheitern komisch verzweifeln. Spuren eines solchen grimmigen Humors finden sich in Gertrud Kolmars Unken-, Kröten-, Schlangen- oder Fledermaus-Gedichten, fasslicher und sarkastisch wird er bei Rose Ausländer. Die lässt ein Hündinnen-Ich im falschen Körper, als „Mensch aus Versehen“ im Büro auf einen aufdringlichen Mithund treffen, der, durchaus anzüglich, „mit graziösem Schwung seines Schwanzes“ grüßt.

Schallendes Mehrheitslachen

„Die Dichter waren ja auch alle männlich“, benennt Werner im launigen Nachwort ein Grundproblem ihres Werks: Sie interessiert sich eigentlich nicht für das Subgenre, dessen sie sich zwecks Belustigung bedient, und seine Geschichte. Der maskuline Kanon, der den Horizont ihres Dichtens bestimmt, scheint ihr die ganze Welt. Dabei ist er doch ein eher enges Gehege, in dem sie hin- und herrennt: Sie nennt’s feministisch, merkt aber nicht, dass sie bloß eine mehrheitsfähige Komik reproduziert, die das Andere aufgrund seiner Andersartigkeit verhöhnt: „Wie komisch sind denn bitte acht Arme?“, schreibt Werner.

Buch­premiere: Thalia-­Nachtasyl, Hamburg, 25. 3., 20 Uhr

Ella Carina Werner: Der Hahn erläutert unentwegt der Henne, wie man Eier legt. Feministische Tiergedichte, mit Illustrationen von Juliane Pieper, Antje- Kunstmann-Verlag, 160 Seiten, 22 Euro

Nicht wettmachen können das Juliane Piepers Bilder. Die, sämtlich auf Doppelseiten platziert und daher durch den Mittelfalz beeinträchtigt, finden immer wieder lustige Wege, mit diesem buchbinderischen Problem umzugehen und es elegant in die Komposition einzubeziehen. Einmal, beim Moschusbock Heiner, dem keiner sein Feministsein glaubt, entwickelt Pieper daraus sogar eine eigenständige Komik: Sie platziert das Insekt exakt im Zentrum der Panoramaseite. Sie aufzuschlagen heißt, ihm beim Man-Spreading zuzuschauen. Das ist doppelbödig, denn dieses Tierchen wird, so lange sein Lebensraum, das Buch, intakt bleibt, seine Verhaltensweise niemals ablegen können, auch wenn es das wirklich wollen sollte.

Im Dienste ihrer Verhöhnungs-Witzigkeit zielen Werners plumpe Paarreime hingegen auf schnelle Höhepunkte, die auf jenes schallende Gelächter abzwecken, das dem Betrug am Glück dient: Bei aller markierten thematischen Differenz scheint es dasselbe stählerne Mehrheitslachen, mit dem Mario Barth Beifall heischt. Wer glaubt, das Problem bei dem seien ja doch wohl die Inhalte, und nicht in erster Linie die Form, der wird viel Spaß damit haben. Benno Schirrmeister

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