piwik no script img

kritisch gesehenRomeo und Julia im Rüschenhemd

William Shakespeare, Sergej Prokofjew, Romeo und Julia: Schwergewichtiger geht es für eine Tanzcompagnie nicht. Hohe Erwartungen bauen sich auf. Das kann erdrücken.

Osnabrücks Tanzdirektorin Marguerite Donlon hat sich davon nicht schrecken lassen. Das zeugt von Mut. Aber sie hält zu sehr am Klassischen fest. Nur Modernisierung hätte ihrem Zweiakter Strahlkraft verleihen können, inhaltlich wie bewegungssprachlich, zugeschnitten auf ihr winziges Ensemble, das noch nicht einmal ein Dutzend TänzerInnen umfasst.

Aber das geschieht nicht. Donlons will zuviel. Das Resultat ist ein Abend großer Bemühtheit, aber kleiner Wirkung. Auch Ambre Twardowski, als Julia ein Lichtblick, tanztechnisch wie darstellerisch von hoher Intensität, kann das nicht überdecken.

Das Scheitern hat viele Gründe, vor allem inszenatorische und choreografische. Ja, zuweilen wird es feinnervig, wird es dramatisch, etwa wenn sich Julia gegen ihre Zwangsverheiratung wehrt, die einzige Passage im übrigen, die ansatzweise geschlechterrollenkritisch ist. Und dass Donlon ihre Entscheidung, Romeo von einer Frau tanzen zu lassen, damit begründet, man habe heute „die Wahl, zwei Menschen zu nehmen, die Romeo und Julia wirklich repräsentieren, ohne Rücksicht auf ihr Geschlecht“, wirkt aufgesetzt, wie ein verunglückter Versuch, sich der Diversitäts-Debatte anzudienen. Auch ein Kommentar auf Shakespeares Zeit, in der es üblich war, Frauenrollen von Männern spielen zu lassen, ist darin nicht erkennbar.

Es ist ein Abend der Logikfehler, der Längen. Ein Schwerstverwundeter krümmt sich vor Schmerzen und klettert kurz darauf ein Gerüst empor, als wäre nichts. Viele Massenszenen wirken austauschbar. Und die „zeitnahe Umgebung“, die hier angeblich zu sehen ist, reduziert sich auf eine bunkergraue Graffitiwand. Ansonsten wird ausgiebig Rüschenhemd getragen. Und Schulter- und Unterarmschutz fürs Fechten, obwohl nie gefochten wird. Das passt nicht.

Hinzu kommt: Slapstick zerstört jede Poesie, jeden Ernst. Da hält sich jemand einen Liebesbrief vors Gemächt und ruft „Autsch!“, als er ihm weggenommen wird. Das ist ein ziemlich hohes Fremdschäm-Level und erinnert an die prolligen Sexspielchen mancher Trash-TV-Produktion. Ach ja: In Osnabrück ist Julia am Ende gar nicht tot. Aber das verschlimmert die Sache nicht. Sie ist so schon schlimm genug. Harff-Peter Schönherr

Wieder am 11., 16., 26. 11. jeweils 19.30 Uhr, 27. 11., 15 Uhr, Theater am Domhof, Osnabrück

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen