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kritisch gesehenFinanzminister Superstar

Quizfrage: Wer war der erste US-Präsident? Na klar, George Washington. Deutlich schwieriger: Wann und wie ging eigentlich der amerikanische Unabhängigkeitskrieg zu Ende? Es braucht kein geschichtliches Vorwissen, um Spaß am neuen Hamburger Musical „Hamilton“ zu haben, das gestern Premiere im Stage Operettenhaus feierte. Schaden kann es aber nicht.

Historische Figuren und Ereignisse des ausgehenden 18. Jahrhunderts werden einem hier im Sekundentakt um die Ohren gehauen. Besser gesagt: gerappt. „Hamilton“ verhandelt das Leben des Revolutionärs und Politikers Alexander Hamilton – Washingtons Flügeladjutant und erster Finanzminister der USA – auf eine Weise, wie es sie in der hiesigen Singspiel-Landschaft noch nicht gegeben hat: als Hip-Hop-Musical mit einer Besetzung, die fast ausschließlich aus People of Color (POC) besteht. Hauptdarsteller Benét Monteiro ist Brasilianer mit reichlich „König der Löwen“-Expertise. Seine Eliza ­Hamilton wird von der grandiosen Ivy Quainoo gegeben, die als „The Voice of Germany“-Gewinnerin bekannt wurde.

Die 35 Schau­spie­le­r*in­nen geben alles: Sie tanzen, sprinten, croonen, rappen, leiden und triumphieren ohne Atempause. Zuweilen ist der Gesang nicht prononciert genug, um gegen die exzellente Liveband anzukommen. Die steuert Soul-Grooves, Synthie-Bässe und gekonnt unsentimentale Streicher-Passagen bei. Zweieinhalb Jahre lang hat man an der ersten fremdsprachigen Version des Broadway-Hits von Autor Lin-Manuel Miranda gearbeitet. Gesang, Timing und Qualität der Reime stimmen, sogar Anspielungen auf deutsche Klassiker wie Die Fantastischen Vier lassen sich heraushören. Rap bedeutet immer auch: Geschwindigkeit. Über eine Länge von zweieinhalb Stunden ergibt das eine Menge Stoff, der nicht nur die leicht Verdauliches gewohnten Musical-Fans ermüden muss.

Wirkliche Verschnaufpausen gibt es nur in den Auftritten des speckig glänzenden King George (Jan Kersjes), der mit sabbernder Selbstgefälligkeit für Lacher sorgt. Ob der echte Hamilton, der auf dem Zehn-Dollar-Schein abgebildet ist, eine Person of Color war, wird von Historikern bezweifelt. Doch darum geht es nicht: „Hamilton“ bietet anspruchsvolles, zuweilen phänomenal rhythmisches Entertainment mit gelegentlichen Längen. Erfolg ist diesem ambitionierten Projekt unbedingt zu wünschen – im Disney-hörigen Musical-Deutschland aber wohl unwahrscheinlich. Jan Paersch

Hamilton, Stage Operettenhaus, Hamburg, tägl. außer montags

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