kritisch gesehen: Bar aller waldigen Schwermut
Die Welt ist der Wald ist eine Zirkusmanege: Für Leoš Janáčeks Oper „Příhody lišky Bystroušky“ hat sich Regisseurin Tatjana Gürbaca von Henrik Ahr ein begehbares, um zirka 30 Grad gekipptes, unnostalgisch-weißes Rund auf die Bühne des Bremer Theaters am Goetheplatz bauen lassen statt eines romantischen Hains.
Unter dieser Schräge findet sich eine rumpelige Funduskammer: Die bewohnt der Dachs, bis ihn Marysol Schalits von dort vertreibt, um sie sich anzueignen. Dem Zauber ihrer Stimme kann keiner entrinnen. Sie spielt die Titelheldin: Die Abenteuer der Füchsin Scharf- oder Spitzohr nämlich, so müsste das 1924 uraufgeführte Werk eigentlich auf Deutsch heißen. Die Füchsin ist in ihm eine für die Bewohner der wenig zivilisierten Zivilisation beängstigend freie Frauenfigur: Deren emanzipatorisches Potenzial hat Max Brod in seiner Falschübersetzung als „Das schlaue Füchslein“ minimiert, die das Stück in Deutschland bekannt gemacht hat.
Gürbaca und Generalmusikdirektor Marko Letonja, der bei seinem Bremer Opern-Einstand die Philharmoniker neue Maßstäbe an Transparenz entdecken lässt, verzichten auf sie. Das ist, weil tschechisch eine Sprache mit anspruchsvoller, ganz eigener Phonetik ist, schwer, aber wichtig: Der musiktheatrale Bilderbogen lebt ja nicht von schwelgerischen Melodien, sondern seinen folkloristischen Rhythmen und zirpenden Tonmalereien. Seine Metrik und irisierenden Klangfarben aber sind mit den Betonungen und Lauten des Librettos innig verschmolzen: Janáček hat sich das Textbuch auf Basis einer illustrierten Erzählung von Rudolf Tesnohlídek selbst geschrieben.
Handlung: Sehr zum Ärger seiner Gattin – resolut hält Ulrike Mayers kompromissloser Mezzo den Hühnerhof in Schach – fängt ein Förster eine Füchsin und versucht, sie als Haustier zu halten. Zugleich, Parallelplot, versucht er seine Frau durch die schöne Romni Terynka zu ersetzen, der das versammelte Patriarchat – Pfarrer, Lehrer und der Gastwirt – hinterhersteigt. Der Förster hadert mit dieser in Schieflage geratenen Weltordnung, die er doch verkörpert. Er erschießt die geliebte Füchsin, stirbt mit ihr im abstrakten Gehölz: Grandios durchleidet Christoph Heinrichs Bass Wallungen und Wandlungen des Waldmanns. Zum Wegschmelzen.
Benno Schirrmeister
Theater Bremen: 20. 11., 3., 8., 18. und 20. 12., jeweils 19.30 Uhr
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