kritisch gesehen: tschaikowskys „pique dame“ am theater bremen: Gesänge einer verschimmelten Welt
Kann man natürlich machen. Zwar ist Pjotr Iljitsch Tschaikowsky der Inbegriff russischer Romantik, wird als nationale Ikone rezipiert und als DER musikalische Repräsentant seines Landes überhaupt. Aber anders als die meisten russischen Komponisten seiner Zeit ist er nur selten komplett in Nationalchauvinismus abgedriftet, auch in seinen Opern. Von daher ist es für sich genommen kein Skandal, Tschaikowskys Zocker-Oper „Pique Dame“, von Yoel Gamzou in fiebrig-durchglühten Tempi und wunderbarer Geradheit unerbittlich auf den Abgrund zu dirigiert, auf den Spielplan zu setzen.
Regisseur Armin Petras erfindet eine beeindruckend ungemütliche Welt, die Norman Plathe-Narrs Licht in moros-depressive Düsternis hüllt: Wie schleimiges Pilzgeflecht haben Rebecca Riedels schwarz-weiße Videoprojektionen sie überzogen und zerfressen. Genial ist der auf zwei Etagen bespielbare Bühnenaufbau von Julian Marbach: Eine Art Haus, die eine Seite ist die Fassade, die andere das Interieur, eine Schmalseite gibt den Blick frei auf Duschen des zerfallenen Moskauer olympischen Dorfs. Auf der anderen hat Zarin Katharina II., Herrin von Russland und Jever, ihren auf intelligente Weise als hohl inszenierten Auftritt; vielleicht annektiert sie da gerade die Krim.
Ein anderer Deutscher, German heißt er und ist Offizier, ist die Hauptfigur der Story: Etwas sehr leise schmachtet Luis Olivares Sandoval die stimmgewaltige Nadine Lehner in der Rolle der Lisa an: Er glaubt, die Enkelin der Gräfin (Renée Morloc) nicht heiraten zu können, weil er pleite ist. Dem soll Spielkartenbetrug abhelfen: Die Oma hat sich irgendwann in Paris für einen übersinnlichen Kartentrick prostituiert, dessen Geheimnis will German ihr abpressen. Zwar stirbt sie dabei, aber ihr Geist offenbart ihm die drei unfehlbaren Siegerkarten. Für den Rest ist nur wichtig, dass es selbstverständlich nicht klappt und er alles verliert; Wahnsinn oder Tod treten ein.
Wie gesagt: Fantastisch musiziert, alles kein Skandal. Dass aber die „Pique Dame“ zu zeigen vom Theater selbst zum „politischen Akt“ überhöht wird, ist ein bisschen billig für eine Produktion, die den schimmligen Kanon bestätigt. Ein politisches Zeichen wäre es gewesen, sich mit Neugier daraus zu lösen, etwa mit Lysenkos „Taras Bulba“, der Tschaikowsky nur im Ruhm nachsteht. Oder den von Exil und Sehnsucht durchtränkten Fantasy-Opern von Stefania Turkewitsch, „Oksanas Herz“ und „Mavka“: Werke, die auch von dem träumen, was die Ukraine sein könnte. Und die daher fast vergessen sind.Benno Schirrmeister
Weitere Vorstellungen: 2., 5., 7. + 9. 7., Bremen, Theater am Goetheplatz
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