kritik der woche : Blutjunge „Geschichtenerzähler“ in der Hamburger Kunsthalle
Mädchen, die nachts vom Schulbusfahrer verlockt werden, Rennhunde in technoiden Verstrickungen, eine Geisterfracht im Ruderboot, Zwielicht und allerlei Monströses: Kein Zweifel, diese aktuelle Kunst will erzählen.
Bei Jonas Burgert beispielsweise sind Affen und Skelette zu bewundern, inmitten altertümlicher Banner und vieler Gegenstände, wie sie aus der tradierten Stillleben-Malerei bekannt sind. Es sind in Öl gemalte große Allegorien, eine dekorative, wie von Hans Makart geschaffene Reaktion auf den Werteverfall einer Jahrhundertwende – nur leider der vor hundert Jahren. Aber solch eine Einschätzung stört den Berliner Maler gar nicht, gibt er doch problemlos Tizian als sein Vorbild an. Das ist kühn – aber wenn es mehr als kokett ist, warum nicht passenderweise lieber dessen Spiegelung beim späten de Chirico erwähnen?
Christoph Heinrich hat die Ausstellung „gegenwärtig: Geschichtenerzähler“ in der Galerie der Gegenwart der Hamburger Kunsthalle zusammengestellt. Er findet, „der Maler traut sich was“. Stimmt. Aber ob der verspätete Bote aus dem Gestern schon der Künder der Zukunft ist? Es scheint, auch der Leiter der Galerie der Gegenwart traut sich was: ganz frische Kunst, im Falle des medienrealistischen Zeichners Dennis Scholl sogar die eines Studenten, ins Museum zu bringen. Das spart dem Publikum den Besuch in abgelegenen Galerien, konfrontiert es ohne großen Zeitverlust mit den von den Sammlern gutgeheißenen Trends der aktuellen Szene.
Diese angesagten Bilder sind natürlich auch offen für eigene Deutungen. Beim Bild „Vermeidung des Bösen“ von Till Gerhard, einem Hamburger Maler, der seine von Surrealismen durchkreuzten Bilder malerisch reflektierter und angenehmerweise viel gebrochener herstellt, sucht eine Frau zwischen rückgebauten Plattenbauten den Ausschlag ihrer Wünschelrute. Da schleicht sich der Verdacht ein, dass es eben auch beim Erspüren neuer Kunst das Betriebsrisiko gibt, auf nicht so Vielversprechendes zu stoßen.
Aber gerade in der Möglichkeit zum wertenden Vergleich liegt eine Stärke dieser Schau. Ein Vergleich, der Malerei, Fotografie und Video der 14 KünstlerInnen gleichberechtigt behandelt. Auch wenn die Malerei aufgrund ihrer Verdichtung eigentlich höher zu schätzen ist: Im Spiel mit den Zitaten aus der Medienwelt ist ein Video wie das von Björn Melhus dann doch überlegen. Hajo Schiff
„gegenwärtig: Geschichtenerzähler“ bis 21. August in der Hamburger Kunsthalle