kritik der woche : Gestalterin des Nichts
In London zeigt sie eine Arbeit aus vierzehntausend Einzelteilen, in Schwerin läuft derzeit ihre erste Museumsausstellung in Deutschland: Einst Enfant terrible der „Young British Art“ hat sich die 1963 geborene Rachel Whiteread zur bedeutendsten jungen Plastikerin Europas gemausert – schon 1993 bekam sie die wichtigste britische Kunstauszeichnung, den Turner-Preis. Anlass der Ausstellung im Staatlichen Museum Schwerin ist der seit 22 Jahren verliehene renommierte Kunstpreis der Norddeutschen Landesbank, mit dem sie 2003 ausgezeichnet wurde. Die Ortswahl ist für Museums-Fachleute nicht überraschend: Das Haus, bekannt durch eine außergewöhnliche Sammlung alter Meister, hat in den letzten Jahren auch das schwierige Terrain einer konzeptuell geprägten Moderne erobert. Deshalb wurde es von der deutschen Sektion des internationalen Kunstkritikerverbands aica zum „Museum des Jahres 2005“ ernannt.
Rachel Whiteread ist eine Künstlerin, die das Nichts gestaltet: Ihre Plastiken thematisieren das Dazwischen der Dinge, den Raum in oder über den einfachen Objekten des Alltags. Ihre Arbeiten sind Negativformen, vergleichbar den Negativbildern der Fotographie. Die Betrachter erfahren Volumen, die die Dinge übrig gelassen haben, sie sehen ein Bücherregal aus der Position der Wand und sie ahnen die Spuren längst verschwundener Objekte. Diese Historisierung des Verschwindens ist auch die besondere Qualität der Negativform einer Bibliothek, die Whiteread 1995 - 2000 als „Ort der Erinnerung“ auf dem Wiener Judenplatz als Mahnmal realisiert hat.
Die aktuelle Ausstellung in Schwerin gibt mit plastischen und zeichnerischen Werken sowie einer Fotoserie einen guten Überblick über das bisherige Werk. Zudem zeigt ein Video den spektakulären, ihren Ruhm begründenden Abguss eines kompletten Londoner Vorstadthauses. Zwischen den Säulen der historischen Schweriner Ausstellungsräume finden sich vorwiegend aus Gips und Kunststoff erstellte Objekte: gebogene Matratzenabgüsse und intime Wärmflaschenvolumen, schwarze Bücher und negative Bücherregale, auf denen die Bücher zarte Farbreste zurückgelassen haben. Schräg im Raum stehen zwei bronzeschwere Plastiken. Ihre trotz aller Reduktion bedrohliche Ausstrahlung erklärt sich daraus, dass es Abgüsse der Volumen ober- und unterhalb einer Seziertischplatte sind. Hajo Schiff
Rachel Whiteread: Staatliches Museum Schwerin; bis 15. Januar 2006