kommentar : Der Protest braucht einen langen Atem
Der Krieg ist nicht ausgebrochen. Bush und seine Mitstreiter haben ihn seit Tagen angekündigt, seit Monaten geplant und seit Jahren dafür geworben. Deshalb war der Begriff „Kriegsausbruch“, den wir in der nächsten Zeit noch oft lesen und hören werden, selten so unangebracht wie in diesem Fall. Dieser Krieg ist nicht das Ergebnis einer unberechenbaren Eskalation. Alle, die Präsident George W. Bush zugehört haben, mussten spätestens seit dem September 2001 wissen, dass Irak nach Afghanistan das nächste Ziel sein würde.
Natürlich ist der Angriff auf den Irak nicht der erste, der unter dem Mantel der Selbstverteidigung statffindet. Natürlich gab es ungezählte Kriege und staatlich sanktionierte Gewaltverbrechen von größerem Ausmaß. Und natürlich ist es beileibe nicht der erste Angriff, der lange zuvor geplant wurde. Selten jedoch ist dies so öffentlich und mit solcher Dreistigkeit geschehen.
Dazu konnte es nur kommen, weil Bush und sein Team eben nicht nur kaltblütige Realpolitiker sind, sondern auch verbissene Ideologen. Sie glauben an ihre Mission: die Befreiung der Welt in ihrem Sinne. Das macht den Umgang mit ihnen so schwer und lässt jegliche rationalen Argumente an ihnen abprallen. Menschen mit einer Mission sind sehr viel unkalkulierbarer als solche, die brutal, aber nüchtern ihre Interessen durchsetzen wollen. Interessen lassen sich in der Regel ausgleichen, Ideologien sind für Tauschgeschäfte untauglich.
Wer meint, dass globale demokratische Partizipation Zukunft hat, für den ist es zunächst einmal ernüchternd, dass auch eine weltweite Protestbewegung von zuvor unbekannter Größe Bush nicht von seiner Kriegsentscheidung hat abhalten können. Aber, wenn man angesichts der Aussicht auf noch mehr Elend im Irak so weit denken mag: Es gibt berechtigte Hoffnung darauf, zumindest künftig solchen Irrsinn zu verhindern.
Denn ein Machtsystem, innerstaatlich wie international, braucht immer den Glauben an seine Unumstößlichkeit. Der Widerspruch der vergangenen Wochen und Monate hat diese Aura der Allmacht beschädigt. Der Weltmachtstatus der USA gründet nicht allein auf ihrem Militärapparat. Dazu gehört auch das, was die Amerikaner selbst „soft power“ nennen: die USA als Vorbild für Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit.
Genau dieses in weiten Teilen zu Recht positive Ansehen der Vereinigten Staaten hat George W. Bush beschädigt: Im Inneren mit zunehmenden Einschränkungen der Freiheitsrechte, nach außen mit einem Amoklauf in den Krieg. Weil er sich bei seinem weltweiten Feldzug aber als Beschützer nicht nur der US-Bevölkerung, sondern der gesamten Zivilisation darstellt, wird ihn der Schaden an diesem positiven Image besonders treffen.
Die Kränkung durch den unerwartet starken internationalen Protest gegen seinen Krieg mag den Präsidenten der angeschlagenen Weltmacht zunächst sogar noch entschlossener gemacht haben. Künftige Feldzüge in dem langen Krieg, die Bush und seine Mitstreiter längst planen, können noch gestoppt werden – wenn sichtbar und hörbar bleibt, dass diesen Kriegen die globale demokratische Legitimation fehlt. Der Protest kann erfolgreich sein, auch wenn es dazu einen sehr langen Atem braucht. Eine optimistische Aussicht, die das Erschrecken über das Vorpreschen des Präsidenten und die Wut über Tod und Zerstörung nicht mindert. ERIC CHAUVISTRÉ