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Archiv-Artikel

kommentar Abwarten, aussitzen, gewinnen

Lassen wir mal kurz die moralische Entgeisterung über das Bundespräsidenten-Geschacher beiseite. Diese Aufregung ist so berechtigt wie nahe liegend. Aber sie wird, wie fast alle Empörungswellen, in einer Woche wohl vergessen sein. Schauen wir auf das, was bleibt: die Macht.

Es gibt am Ende eine Gewinnerin. Sie sieht nicht glänzend aus. Aber sie hat, was sie wollte. Angela Merkel hatte in der Bundespräsidenten-Frage drei Ziele: Es sollte nicht Schäuble werden, der als Bundespräsident eine markante Figur und eine ideologische Konkurrenz Merkels in der Union gewesen wäre. Es sollte nicht Annette Schavan werden, weil die Bundesbürger wohl damit überfordert wären, 2006 von zwei CDU-Frauen regiert und repräsentiert zu werden. Und: Es muss ein bürgerlicher Kandidat sein, der Chancen hat, auch von der wirren FDP gewählt zu werden.

Merkel hat dies auf höchst bemerkenswerte Weise erreicht – durch Warten. Sie hat zugesehen, wie die CSU, die Schäuble wollte, an der Demontage ihres Kandidaten mitgewirkt hat, und die Wutausbrüche von Merz und Koch achselzuckend hingenommen. Sie hat die Gegner so lange reden lassen, bis sie dort waren, wo sie selbst von Anfang an hinwollte. Früher gab es dafür ein Wort: aussitzen. Der Meister in dieser Diziplin war Helmut Kohl.

Bei allen offenkundigen Unterschieden gibt es ein paar augenfällige Parallelen zwischen beiden. Kohl hat in den 70ern die CDU zielstrebig von einer Honoratiorenpartei in eine moderne Volkspartei verwandelt. Merkel ist dabei, die CDU kulturell anschlussfähig zu machen – ohne „Kinder, Küche, Kirche“-Spinnweben. Gleichzeitig will sie die CDU entsozialdemokratisieren – ihr Kopfprämien-Konzept für das Gesundheitssystem zielt in neoliberale Richtung.

Trotzdem wird Merkel, wie damals Kohl, in der Öffentlichkeit völlig unterschätzt. Vor allem die Linke amüsierte sich jahrelang über Kohls tollpatschige Provinz-Rhetorik – ohne zu begreifen, mit wem sie es da zu tun hatte. Das Gleiche wiederholt sich bei Merkel. Auch bei ihr ist das Unbeholfene, harmlos Anmutende und die vollständige Abwesenheit von Charisma Teil ihres Erfolgsrezepts. Dieses Image funktioniert wie eine Tarnkappe. Es verstellt den Blick auf die kalt, genau berechnende Machtpolitikerin.

So wird der nächste Bundespräsident Horst Köhler heißen. Was ihn dazu befähigt, ist kaum zu sagen. Merkel hat sich dabei an eine Kohl-Devise gehalten: Entscheidend ist, was hinter rauskommt. Für sie – nicht für das Amt. STEFAN REINECKE