kommentar : Der Papst bekommt, was des Papstes ist – mehr nicht
Es sind beeindruckende Bilder, die Gläubige wie Nichtgläubige in diesen Tagen aus Rom erreichen. Passende Erklärungen für diese Pilgerfahrt der Millionen zur Beerdigung des Einen liegen schon vor. Hier breche sich eine Volksfrömmigkeit Bahn, die unter der säkularen Oberfläche nur geschlummert habe, lautet eine gängige Deutung. In Zeiten neoliberaler Unsicherheit wachse das Bedürfnis nach Halt, eine andere.
Beide gehen von einer Rückkehr der Glaubenskräfte aus. Aber, auch im Kontrast zur Wucht der aktuellen Bilder gefragt, stimmt das? Erweist sich das säkulare, aufgeklärte Europa in diesen vom toten Papst dominierten Wochen als dann doch – christlich fundiert?
Gemach. Zum einen: Auch nach der Beerdigung von Lady Di haben zunächst alle gedacht, Europa werde danach ein anderes sein. Das klingt respektlos, verweist aber auf die Rahmenbedingungen von Mediengesellschaften. In ihnen nimmt die Bedeutung von genuinen Ereignissen zu. Das ist kein Versuch, die Papst-Beerdigung als Medienhype abzutun. Aber auf die Verhältnismäßigkeit ist zu achten. Auch in einer ausdifferenzierten Gesellschaft vermögen es Großereignisse, Menschen und Aufmerksamkeit zu bündeln – nur zerstreut sich die Menge bald wieder. All jenen, die nun eine bleibende Renaissance der Werte erwarten, sollte man diese Botschaft vorsichtig überbringen.
Das zweite Missverständnis bezieht sich auf den inneren Zuschnitt einer säkularen Gesellschaft. In ihr ist die Religion ja keinesfalls verschwunden, sondern nur von Regierung, Wirtschaft, Bildung und all den anderen gesellschaftlichen Subsystemen getrennt. Wer religiöse Bedürfnisse hat – bitte sehr! –, kann ihnen in einer säkularen Gesellschaft sogar sorgenfreier nachkommen denn je. Das zeigt sich jetzt in Rom. Selbst Anhänger eines liberalen Abtreibungsrechts brauchen den Gläubigen nicht die aufklärerischen Instrumente zeigen. Sie können sich sogar von der Inbrunst der Gläubigen berühren lassen. Rechtsfragen sind vom Glauben schließlich weiter unberührt – über Kopftücher oder Kreuze in Schulen entscheiden Regierungen und Gerichte, nicht Pastoren.
So mag die Beerdigung des Papstes ein Lebenszeichen des Glaubens sein. Dem ersten Anschein zum Trotz ist sie vor allem aber ein schöner Hinweis darauf, wie säkular Europa geworden ist. Die Öffentlichkeit gibt dem Papst gerade, was des Papstes ist. Dass die liberale Gesellschaft das unbeschadet aushält, zeigt ihre Stärke. DIRK KNIPPHALS