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Archiv-Artikel

kommentar: diskriminierung bringt wachstum Alles durch die Arbeitsschutzbrille

Wachstumsfreund gegen Fortschrittsfeind gehört zur politischen Lieblingspaarung im Meinungsstreit – vor allem in Nordrhein-Westfalen. Auf der einen Seite stehen dann etwas ökologischer, globaler denkende Grüne, auf der anderen Seite Sozialdemokraten und Bürgerliche, die sich darin überbieten, zusammen mit Industrie und Gewerkschaften Arbeit zu schaffen, Arbeit zu sichern, Arbeit zu machen. Auch in der schwersten Krise der bundesrepublikanischen Arbeitsgesellschaft, belegt durch eine nun endlich unbereinigte Arbeitslosenstatistik, wird klassisch Aufstellung genommen und der Wachstumsfetischismus zur Leitwährung: So verzweifelt geben sich Politiker, dass sie aus der Vergreisung der Gesellschaft einen Boom der Altenpflege und das ersehnte Jobwunder herleiten wollen.

Es klingt also wie eine Drohung, wenn Politik nun verspricht und auch wachstumsskeptischere grüne Politiker wie Umweltministerin Bärbel Höhn nun vorbeten, jede Maßnahme daraufhin abzuklopfen, ob Arbeitsplätze entstehen können oder verhindert werden. Weil sich der Staat ansonsten davon verabschiedet hat, im öffentlichen Dienst selbst für mehr Beschäftigung zu sorgen, heißt dieses Primat auf Arbeit, dass Arbeit noch billiger wird, Arbeitnehmerrechte noch schwächer und unternehmerisches Handeln erst in besseren Zeiten gesellschaftlich hinterfragt werden darf.

Die letzten Wochen zeigen, wie die Republik durch die Arbeitsschutzbrille betrachtet aussieht – abgesetzt wird sie bis zu den NRW-Landtagswahlen gewiss nicht mehr! Um ausländerfeindliche, nationalistische wie industriepolitische Reflexe zu bedienen, wurde zuerst die Visavergabe in Kiew zur lächerlichen Standortfrage: Eine laxe grüne Außenpolitik trage letztlich Schuld daran, dass Touristenvisa für „Zwangsprostituierte“ ausgestellt wurden, die in Köln auf den „Arbeitsstrich“ gehen und den Heimischen ihre Aufträge wegnehmen.

Nun gilt auch das Antidiskriminierungsgesetz in ähnlich dunkeldeutschen Gedankengängen als große Aufschwungvernichterin: Weil nichts anderes als EU-Recht zur Anwendung kommt, dürften deutsche Unternehmer nämlich nicht mehr einstellen, wie und wen sie wollen. Fortan – so das Lamento von Rechtssozialdemokraten, Freiheitlichen und Christdemokraten – würden Behinderte, Frauen, Zugewanderte und andere Prozesshansel ihr Recht auf Gleichbehandlung bei Job- oder Wohnungssuche erstreiten dürfen. Mit bösen Folgen für die Wirtschaft. In Zeiten der Rekordarbeitslosigkeit kann sich Politik weder Gewissen leisten noch Vernunft. CHRISTOPH SCHURIAN