"kleiner Opferschutz": Schutz für Opfer rechter Gewalt
Die Polizei führt den "kleinen Opferschutz" ein. Danach wird die Anschrift nach einer Anzeige nicht mehr an den Täter oder seinen Anwalt weitergegeben. Zahl der rechten Gewalttaten gestiegen.
Mit 482.765 Fällen ist die Zahl der Straftaten im vergangenen Jahr auf den niedrigsten Stand seit der Wiedervereinigung gesunken. Die Zahl der Delikte sei gegenüber dem Vorjahr um 2,7 Prozent zurückgegangen, sagte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) bei der Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Körting bewertete diese Entwicklung als "überaus erfreulich".
Die Aufklärungsquote sank 2008 gegenüber dem Vorjahr von 50,4 auf 49,5 Prozent. Körting unterstrich, dies sei für eine Millionenstadt wie Berlin immer noch ein "hervorragender Wert". Er fügte hinzu, bei Delikten wie Tötungsverbrechen oder Körperverletzung sei die Aufklärungsquote sehr hoch. Bei den 44 Morden wurden in 42 Fällen die Täter gefasst. Bei den Rohheitsdelikten sank die Zahl der Straftaten um 4,3 Prozent auf 66.414. Bei der Jugendkriminalität wurde der niedrigste Stand seit Einführung der Gesamtberliner Kriminalstatistik erreicht. 31.861 Tatverdächtige unter 21 Jahren wurden registriert (-4,5 Prozent). Der Rückgang hat laut Polizei mit dem sinkenden Anteil junger Menschen an der Gesamtbevölkerung zu tun. Erstmals sank auch die Zahl der Fälle von Jugendgruppengewalt, um 32 Prozent auf 5.471 Fälle (2007: 8.075).
Einen massiven Anstieg gibt es beim Ausspionieren von Geldautomaten und beim Fahrraddiebstahl. Angestiegen ist auch die Kriminalität in Bussen und Bahnen und auf Bahnhöfen. Dabei geht es um Sachbeschädigung, Taschendiebstahl und Körperverletzung. DDP, DPA
Opfer von fremdenfeindlicher Gewalt müssen nicht mehr fürchten, dass ihre Daten nach einer Anzeige in falsche Hände gelangen. Betroffene könnten den sogenannten "kleinen Opferschutz" in Anspruch nehmen, sagte Polizeipräsident Dieter Glietsch am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. Konkret bedeutet das, dass die Wohnanschrift des Opfers nicht zu den Akten gelangt, die der Täter beziehungsweise dessen Anwalt bekommt. Sabine Seyb von ReachOut, einer Beratungsstelle für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, begrüßte die Regelung. Allerdings müsse der kleine Opferschutz "noch sehr viel konsequenter" von der Polizei angewendet werden.
Seyb war im Ausschuss zu den Erfahrungen beim Umgang mit Betroffenen von rassistischer Gewalt befragt worden. ReachOut fungiert als Beratungs- und Dokumentationsstelle. 75 Prozent aller Vorkommnisse blieben im Dunkeln, so die Einschätzung von Seyb. Viele Opfer würden keine Anzeige erstatten, weil sie das juristische Verfahren und Racheakte der Täter fürchteten.
Um die Einführung des kleinen Opferschutzes haben Reachout, Polizei und Justiz hart gerungen.Wie die taz erfuhr, hat sich der Polizeipräsident persönlich für die Regelung eingesetzt; die Justiz hatte Bedenken, weil sie die Rechte des Beschuldigten beschnitten glaubte. Mit der jetzigen Regelung können offenbar alle leben. Glietsch zufolge gibt es nun ein Merkblatt für Polizeiangehörige und einen Handzettel für Zeugen und Opfer.
Das Prozedere sieht so aus: Wenn der Betroffene auf dem Polizeiabschnitt Strafanzeige erstattet, kann er mit Verweis auf den kleinen Opferschutz darauf drängen, dass seine Wohnanschrift in einem von der Anzeige getrennten Umschlag an die Staatsanwaltschaft geschickt wird. Damit ist garantiert, dass die Ermittlungsbehörden die Anschrift haben. Aber in den Unterlagen, die der Tatverdächtige oder dessen Anwalt bekommt, taucht dieses Detail nicht auf. Auch "in Zweifelsfällen" könne von dieser Möglichkeit Gebrauch werden, sagte Glietsch.
Aus der Polizeilichen Kriminalstatistik, die der Polizeipräsident im Ausschuss vorstellte, geht hervor, dass rechtsmotivierte Straftaten insgesamt 2008 zwar zurückgegangen sind. Rechte Gewalttaten sind im Vergleich zum Vorjahr aber von 74 auf 91 Fälle gestiegen. Die meisten Delikte ereigneten sich in Lichtenberg (15 Fälle), gefolgt von Treptow-Köpenick und Friedrichshain-Kreuzberg (jeweils 12). Als neuer Brennpunkt zeichnet sich Charlottenburg-Wilmersdorf ab. Dort sind die Fälle von 2 (im Jahr 2007) auf 10 gestiegen. Die Täter seien keine organisierten Rechtsextremisten, sondern "Leute, die bei Gelegenheit zuschlagen", so Innensenator Ehrhart Körting (SPD). Offenbar falle die Propaganda von DVU und NPD auf fruchtbaren Boden. "Das macht mir Sorgen."
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