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kinotipp der wocheZerren am Alltag

Die Reihe „Pioneers of Black British Cinema“ zeigt Highlights des Schwarzen Britischen Kinos der 70er und 90er, darunter Horace Ovés „Pressure“ und Kurzfilme von Ngozi Onwurah

Für Tony beginnt die Identitätsfrage beim Frühstück: Während er ein klassisch britisches Frühstück aus Eiern und gebratenem Schinken vertilgt, mopst sein großer Bruder eine Avocado aus dem Laden des Vaters. Während er sie am Küchentisch schält, zieht er Tony mit seinem an weiße Brit_innen assimilierten Vorlieben auf – von seinen Essensvorlieben bis zum Gary-Glitter-Poster hinter ihm an der Wand. Tony ist als einziger der Familie nicht in Trinidad geboren, sondern in Großbritannien. Doch weder seine Assimilation noch sein Geburtsort helfen ihm im Alltag und bei der Jobsuche nach dem Schulabschluss. Horace Ovés Film „Pressure“ war der erste Langfilm eines Schwarzen Regisseurs in Großbritannien. Der Film ist Teil der fünfteiligen Reihe „Pioneers of Black British Cinema“, die Henning Koch zusammengestellt hat. Die Reihe läuft im Rahmen der Veranstaltungsreihe Arsenal on Location im City Kino Wedding.

„Pressure“ zeigt einen Jugendlichen zwischen dem Black-Panther-Aktivismus seines Bruders, dem Konservativismus seiner Eltern und dem Rassismus der weißen britischen Gesellschaft. Produziert wurde der Film mit Geld des British Film Institutes. Was dazu führte, dass der Film nach seiner Premiere in Großbritannien zunächst unsichtbar gemacht wurde. Das BFI hatte ihn aus dem Verkehr gezogen. Für die Gründe finden sich unterschiedliche Angaben: Teils wird auf die explizite Darstellung von Polizeigewalt in „Pressure“ verwiesen, teils auf den zeitlichen Kontext. Im Sommer 1976 war es im Londoner Stadtteil Notting Hill zu Ausschreitungen zwischen Schwarzen Jugendlichen und Polizisten gekommen.

Anders als die Geschichte des Schwarzen Kinos in den USA ist das Großbritanniens in Deutschland bis heute eher unbekannt. Doch als in den Jahren direkt vor dem Amtsantritt Margaret Thatchers als Premierministerin eine Dekade konservativer Herrschaft in Großbritannien begann, entstand Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre eine Reihe von Spielfilmen, die dem Schwarzen Kino Großbritanniens neuen Schwung verliehen: Horace Ovés „Pressure“ (1976), Norman Bea­tons „Black Joy“ (1977), „Babylon“ von Franco Rosso (1980) und 1981 Menelik Shabazz’ „Burning an Illusion“.

Pioneers of Black British Cinema, 27.–29. Juni, City Kino Wedding, im Rahmen von Arsenal on Location, Müllerstr. 74

Mehr zur Filmreihe morgen auf Seite 24

Der Film von Menelik Shabazz folgt dem Leben seiner Protagonistin Pat Williams, die sich nur zögernd auf eine Beziehung mit dem jungen Del einlässt. Nach kurzen Momenten des Glücks beginnt die gesellschaftliche Realität an dem Paar zu zerren. In einem Essay zum Film formuliert die britisch-nigerianische Drehbuchautorin Ade Solanke das Neue an „Burning an Illusion“: „Das Radikalste an ‚Burning an Illusion‘ ist, dass er von Schwarzen Menschen handelt, die nicht radikal sind.“

Die größte Wiederentdeckung sind die Kurzfilme der britisch-nigerianischen Filmemacherin Ngozi Onwurah, die am Samstag im Rahmen eines Kurzfilmprogramms laufen. Die vier Filme des Programms spannen den Bogen von Onwurahs Abschlussfilm am Saint Martins College of Art and Design, „Coffee Colored Children“ (1988), bis zu dem politischen Kurzkrimi „White Men Are Cracking Up“ von 1994. Als letzterer fertiggestellt wurde, arbeitete Onwurah schon an ihrem Langfilm „Welcome to the Terrordome“, der leider nicht Teil des Programms ist. Onwurahs filmisches Werk beginnt mit Rückgriffen auf ihre eigene Autobiografie. Die Filme machen Rassismuserfahrungen und die vielfältigen Formen der Fetischisierung Schwarzer Körper sichtbar. Während Onwurahs frühe Filme vage die magischen Bilder von Filmemacherinnen wie Julie Dash anklingen lassen, evoziert die Mischung aus Genreversatzstücken und Offkommentar in „White Men Are Cracking Up“ das Kino Cheryl Dunyes, einer der großen Regisseurinnen des US-Kinos der 1990er Jahre.

In der Kürze von fünf fantastisch guten Programmen macht „Pioneers of Black British Cinema“ Lust auf eine hoffentlich bald folgende Möglichkeit, Schwarzes Kino aus Großbritannien in all seiner Vielschichtigkeit in einer größeren Reihe zu entdecken.

Szene aus „Burning an Illusion“, Regie: Menelik Shabazz  (UK 1981) Foto: BFI

Fabian Tietke

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