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Archiv-Artikel

kabinenpredigt Sarah BSC

Herr Hoeneß hat sich wieder einmal geäußert. Diesmal natürlich zum Hertha-Neueinkauf Lúcio Carlos Cajueiro de Souza. Der, so der blauweiße Manager, sei nämlich nicht nur ein großes Balltalent, sondern habe sogar Charakter. Was auch immer das im Falle eines jungen Fußballers heißen mag. Ich will das gar nicht in Abrede stellen, aber Hoeneß hat wieder vergessen nachzudenken, bevor er spricht.

Denn der Mikrokosmos eines Fußballvereins funktioniert im Großen und Ganzen wie eine Schulklasse. Unterstufe. Hoeneß fungiert darin als eine Art Direktor Skinner. Und was macht diese pädagogische Katastrophe? Stellt den anderen Jungs den neuen Schüler als einen vor, von dem sie sich mal gleich eine Scheibe abschneiden könnten.

Eine Scheibe Charakter in diesem Falle. Das ganze verkündet Hoeneß auch noch in der springerschen Hauspostille, damit es auch wirklich jeder mitbekommt. Ein großartiger Einstieg. Damit ist Lucio doch völlig chancenlos. Abgestempelt als Streber, als der mit der dicken Brille, als Lehrers Lieblingsschüler. Und was man mit denen macht, ist bekannt. Verprügeln, hänseln, ins Klo einsperren, und auf keinen Fall lässt man sie mitspielen.

Das sind die, die beim Fußball in der großen Pause zwar immer mitrennen, als gäbe es kein Morgen und sich zum Abspielen anbieten, indem sie laut „Hier, ich“ rufen, die man aber – natürlich ganz zufällig – immer übersieht. Oder Lucio versucht, dieses vom Direx verpasste Image mit aller Macht loszuwerden und den anderen Jungs zu zeigen, dass er in Wirklichkeit ein ganz wilder Typ ist – einer, der schwänzt, trinkt und die Lehrer fertig macht.

Für Hertha sind beide Möglichkeiten schlecht. Bleibt jetzt eigentlich nur noch die Hoffnung, das der neue Klassenlehrer Favre so viel pädagogisches Geschick besitzt, ihn doch noch in den Klassenverbund zu integrieren. Mühsam wird das allemal.

Nichtsdestotrotz zeugt es übrigens tatsächlich von Charakter, bei einem so ungeliebten Verein wie Hertha BSC spielen zu wollen. Aber vermutlich hat ihm das niemand gesagt, bevor er den Vertrag unterschrieben hat.