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Archiv-Artikel

jenni zylka über Sex & Lügen Antrag zur Sünden-Änderung

Welche Todsünden sind noch aktuell? Und wieso tötet Iglo Wale?

Vor ein paar Tagen hab ich hinter der Garderobe eine angestaubte Jacke gefunden, meine alte, gelbe Lederimitatjacke, von der ich schon gedacht hatte, wohlmeinende Umzugshelfer in spe hätten sie vorausschauend in der Flohmarktkiste versteckt. In der linken Seitentasche befand sich Folgendes: Eine Kino-Abrisskarte, ein Eukalyptusbonbon, ein Papiertaschentuch (nicht mehr besonders mint, wie Plattensammler es ausdrücken würden) und eine Art Merkzettel, ein Kneipenblockblatt, auf dem in meiner krakeligen Handschrift mysteriöserweise die Worte: „Trägheit Neid Geiz Völlerei Hochmut Zorn Wollust“ standen. Wobei „Wollust“ und „Zorn“ durchgestrichen und „R.E.M.-Hören“ und „Im Hellen Fernsehen“ darüber gekrickelt war.

Offenbar gab es in meinem Leben schon einmal eine Todsünden-Änderungs-Diskussion, längst vergessen und verdrängt. Aber den Zettel habe ich genau zur rechten Zeit wieder gefunden, einer Zeit nämlich, in der die Beifang-Gauner von Langnese (bekanntlich fischt der Unilever-Konzern, zu dem Langnese-Iglo gehört, nach wie vor auf der Suche nach Frostfisch für die Stäbchen süße Delfine und niedliche Kabeljaujunge tot) ihre Magnum-Limited Edition dieses Sommers ausgerechnet „Sieben Sünden“ nennen. Im Werbespot dazu lecken hochgestylte Schicksen an ihren Eisen herum, als ob es kein Morgen gäbe. Eine geradezu stupende Aktion: Sind die sieben Todsünden überhaupt noch aktuell? Wenn ja, wieso wird man mit Eis belohnt, wenn man sie eine nach der anderen durchsündigt? Kann es sich ein Unternehmen, das aus mindestens zwei der Sündengründe handelt, leisten, damit leichtfertig Eiswerbung machen? Steht vielleicht gar Satan an der Spitze von Unilever?

Dringend, das denke ich als Mensch, der weder Tod noch Teufel fürchtet, steht eine Neudefinierung der Sünden an, bevor sich der Fischstäbchen-Riese ihrer komplett bemächtigen und sie aus Umsatzgründen verballhornen kann.

Eine Sündenreform gab es übrigens schon mal. Im vierten Jahrhundert erstellte der griechische Theologe Evagrius von Pontus noch folgende Hitliste der Todsünden, von der am wenigsten schweren bis zur schwersten: Völlerei, Wollust, Habgier, Traurigkeit, Zorn, geistige Faulheit, Ruhmsucht und Stolz. Interessanterweise sind das erstens acht, und zweitens wundert einen die Reihenfolge: Traurig sein ist schlimmer als Geld und Gold an sich raffen. Im sechsten Jahrhundert redigierte Fegefeuer-Erfinder und Papst Gregor I. der Große die acht zu sieben Todsünden runter, vielleicht damit sie besser zu den sieben Tugenden (vier Kardinal- und drei theologische) passen, oder einfach weil Sieben eine magischere Ziffer ist. Er fasste außerdem Ruhmsucht und Stolz zu Hochmut zusammen und strich die Faulheit. Damit es wieder sieben werden, fügte er schlau den Neid hinzu, so dass die Hitliste so aussah: Hochmut, Neid, Zorn, Traurigkeit, Habgier, Völlerei, Wollust. Ein Jahrhundert später änderte man „Traurigkeit“ in die meines Erachtens auch viel sündigere „Trägheit“ und nannte „Habgier“ lieber „Geiz“.

Nun zu meinen aktuellen, bereits vor ein paar Jahren durchdachten und damals (vermutlich aus geistiger Faulheit beziehungsweise Trägheit) verdrängten Änderungsvorschlägen: „Zorn“ sollte durch „Im Hellen Fernsehen“ ersetzt werden, und „Wollust“ durch „R.E.M.-Hören“. Begründung: Zorn, also anger, is an energy, und damit nicht sündig, sondern lebenswichtig und moralisch einwandfrei. Und Wollust ist eine verdammt knifflige Sünde: Wieso soll es nicht okay sein, in ein Negligee gewandet darauf zu warten, dass der Staubsaugervertreter sich verklingelt? Andererseits muss man den Wollust-Unterpunkt „Partnerbetrug“ beachten, der zwar nur in den Sündenpfuhl gehört, wenn man sich vorher versprochen hat, treu zu sein, aber trotzdem in den meisten Fällen und von den meisten Menschen als unmoralisch empfunden wird. Wenn „Wollust“ nur nicht einen so restriktiv-katholischen Unterton hätte! Am besten wäre es m. E. also, den ganzen Wollust-Klumpatsch gleich zu streichen, so spart man sich die schwierige Auseinandersetzung.

In manchen Fällen wurde übrigens aus „Wollust“ schon „Liebe“, immerhin eine Tugend, wenn auch keine Kardinaltugend. Bei Kardinal fällt mir ein: Ich muss mal herausbekommen, ob ich den Antrag zur Sündenänderung an Kardinal Lehmann zu schicken habe. Oder gleich an Unilever.

Fragen zur Wollust?kolumne@taz.de