jenni zylka über Sex & Lügen: Fotos ohne Harfe …
Politik lernt vom Pop. Also dauert es nicht mehr lange, und Westerwelle wirbt auf seiner Site mit seinen Pantys
Zwei kleine Türkenjungs besprachen neulich neben mir an einer Haltestelle Spannendes. „Hast du schon mal Sex gesehen?“, fragte der eine. „Ja, im Wasser.“
Hmm. Wenn man tief genug taucht, vielleicht … Da unten, im Trüben, wo der Nöck mit ein paar Nixen Orgien feiert … ein Bock, dieser Nöck. Und weil Kindern der Weg nach Phantasia (also jetzt nicht der Freizeitpark) noch nicht verwehrt ist, können sie dabei zugucken. Wir Alten dagegen sind ja schon froh, wenn wir die sekundären Geschlechtsmerkmale von Heidi Klum im Bikini auf den TV-Today-Plakaten an Bauzäunen mit unseren 800 Dioptrin Altersfehlsichtigkeit überhaupt erkennen können. Wobei mir einfällt, dass neulich ein Mann vor mir ging, dessen Kopf bei jedem der 35 gleichen Bikinimausplakate nach rechts flog. Wenn ich einer dieser grässlichen Partnerpsychologen wäre, hätte ich das als schönes Exempel für die Wirkung von Schlüsselreizen notiert.
Aber es gibt noch mehr Beispiele für versteckten Sex in artfremden Gebieten: Im Berliner Stadtteil Neukölln gab es etwa früher eine Apotheke, in deren Schaufenster jahrelang kleine, playmobilgroße Frauenfiguren standen, zwischen Ammodium Akut und dem Hustinetten-Bären: dralle Püppchen mit wenig an, aber in den absurdesten Situationen. Die eine mühte sich mit einem Presslufthammer in den Händen ab und trug von der vorschriftsmäßigen Straßenarbeiterbekleidung quasi nur den Helm und die (knappe) Unterwäsche, einer anderen wurde von einem zirka 1 cm großen Hündchen gerade ein Stück Hose abgerissen, frivolerweise genau das Stück über ihrem Hintern, hupsi, na so was. Eine Indianerin stieg aus dem Wasser und wollte anscheinend gleich bei einem Wet-Squaw-Contest mitmachen.
Irgendwann ging ich in die Apotheke, um zu fragen, was es mit diesen Püppchen auf sich habe: Sollte man die seinen Kindern schenken, um so die Pubertät einzuleiten? Waren die Püppchen verkäuflich und vielleicht als eine Art mobile Reise-Masturbationsvorlage für Kerle gedacht? Kerle, die auf gaaaaaanz kleine Minifrauen stehen? Däumelinggroß!? Die Apothekerin wurde aber sofort unfreundlich und biestig, als ich sie auf die Playmo-Playmates ansprach. Wieso, sehe doch lustig aus, Punkt. Na ja, was wundert man sich auch über ein paar kleine, in Relation großbusige Apotheken-Püppis. Sex kann eben auch Durchfallstopp verkaufen.
Weil das so ist und Sex in manchen eigentlich artfremden Gebieten dermaßen inflationär zum Geschäfteankurbeln herhalten muss, kann man in letzter Zeit einen gewissen Trend beobachten, in die merkwürdigsten Gefilde einzusteigen, um den Erotikthrill auszureizen. Kurz nacheinander habe ich neulich zwei ernst zu nehmende Musikerinnen kennen gelernt, Kanadierin die eine, Berlinerin die andere. Die Kanadierin ist Solosängerin und schob mir schnell und professionell ihre Visitenkarte zu. Weil wir uns prima über Künstlerinnen wie Anita O’Day und Julie Driscoll unterhalten konnten, habe ich auch später gleich mal auf ihre Homepage gelugt; und was finde ich, direkt unter den Links zu Diskografie, Biografie, Projekten und Pressetexten? Einen Link zur „Panty Page“. Die Sängerin hatte ihre sämtlichen Unterhosen auf den Scanner geschmissen, und so konnte man sich, wenn man interessiert war, von „from my scanner to you – ein gestreifter G-string-Tanga“ über „meine weißen Baumwollschlüpfer“ bis zum „schwarzen Bikini-Höschen“ klicken. Wenn es stimmt, dass Politik vor allem im Marketing immer mehr vom Pop annimmt, bin ich über den Westerwelle-Höschen-Link jetzt schon mal im Voraus entsetzt. Aber man kann wohl davon ausgehen, dass zumindest Wählerinnen nie im Leben irgendjemanden eher wählen würden, weil er seine getragenen Boxershorts zeigt. Frauen geht dieser Unterwäschefetisch (außer bei eigenen Dessous) glücklicherweise komplett ab. Vielleicht mussten sie die bollerigen Feinrippbeutel in der Vergangenheit einfach zu oft waschen. Und das steckt immer noch im kollektiven Gedächtnis und bewahrt sie vor solcherlei Schmu.
Die andere Musikerin hat eine klassische Harfenausbildung, und wirkt auch überhaupt nicht wie Vanessa Mae. Trotzdem erzählte sie mir, dass sie für ihr neues Pressekit eine Seite mit „Fotos ohne Harfe“ plane, Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen. Ich wollte gar nicht mehr fragen, wozu das gut sein soll, ich überlegte stattdessen, ob ich eigentlich prüde und altmodisch bin, weil ich für diese Kolumne ein Kopffoto abgegeben habe, anstatt ein Rumpffoto, nur mit Luftmaschenkette bekleidet. Ist gesunder Feminismus und Antisexismus etwa nur noch ein verstaubtes Item im Fremdwörterlexikon und im passiven Wortschatz über 30-Jähriger? Ist das Nachdenken darüber, was eigentlich genau vertickt wird, wenn Männer nackte Frauen abbilden, um anderen Männern beim Autokauf einen Impuls direkt in den Sack zu schicken, so out wie Bucks Fizz?
Aber ich werd’s einfach ausprobieren. Wenn ich irgendwo so einen vermaledeiten Einmalbaumwollschlüpfer finde, eines dieser riesengroßen, eitergelben Zelte, das bis zum Bauchnabel hochgezogen werden kann (Blinddarmoperierte werden sich erinnern), dann schmeiß ich ihn auf den Scanner und gucke mal, ob wir die 50.000 Abos nicht in null Komma nichts voll kriegen. Wäre doch gelacht. Und ausnahmsweise würde das in dieser Kolumne ja auch mal thematisch passen.
Fragen zu Sex & Lügen?kolumne@taz.de
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