jenni zylka über Sex & Lügen: Am Fest der Liebe fehlen Flirt und Sex
„Jingle Cats“ hören, bis die Nachbarn sich empören. Warum Weihnachten allein auch ein ganz netter Abend sein kann
Vor ein paar Tagen lag vor der Tür zur Wohnung meiner Nachbarn ein kleines, mit einem Nikolaus besticktes Jutebeutelchen und daran ein Brief, auf dem ich unauffällig (indem ich so tat, als hätte ich ein Problem mit meinem Schlüssel) „lieben Gruß, lange nicht gesehen, frohes …“ entziffern konnte.
Ich bin ganz neidisch geworden. Mit einem Jutebeutel kann man mich zwar jagen, meiner Ansicht nach braucht man genau einen Jutebeutel in seinem Leben, und zwar für Kartoffeln, aber diese kleinen Schokoladenkugeln im knibbeligen, bunten Alupapier, Walnüsse und Lebkuchen mag ich trotzdem gern. Und wenn man sie sich selbst kauft, ist es nicht ganz das Gleiche.
Ich weiß das, weil ich schon einige Weihnachtsfeste komplett alleine gestaltet habe. Ganz alternativ, ohne eine einzige Kerze. Sogar dem Stövchenteelicht machte ich den Garaus und kaprizierte mich auf lauwarmen Rotbusch-Zitronen-Tee. Zweimal arbeitete ich in meinem damaligen Job als Thekenkraft und schlug mich stets am frühen Abend mit verrückten, einsamen Menschen und am späten Abend mit voll gefressenen, merkwürdig gekleideten BerlinerInnen herum.
Immer bekam ich Trinkgeld in Form von Schokokugeln oder auch Gummischokolade-Goldmünzen. Ein paar Mal ging ich spät am Abend aus; die Orte, wo sich an Heiligabend Menschen treffen, sind meistens erst ab 22 oder 23 Uhr gefüllt. Und obwohl viele blau und wehmütig und emotional sensibilisiert sind, wird nicht geflirtet – ein Fest der Liebe ist eben nicht unbedingt ein Fest des Sexes.
Die beiden Dinge sollte man ohnehin manchmal besser trennen. Einmal machte ich mir ein richtiges kleines Festessen mit dem praktischen amerikanischen Corn-Bread-Maisbrot als Backmischung. Man fügt nur ein Ei hinzu und knetet das Ganze in der Tüte, presst es in eine mitgelieferte Pappbackform und hast-du-nicht-gesehn ist es fertig, und die Wohnung riecht weihnachtlich und so, als ob man backen könnte. Dazu gab es eine 0,375er-Flasche Champagner, nicht dass nicht mehr in mich hineingeht, aber ich habe einen Singlechampagnerkühler und wollte ihn benutzen. Ein TV-Festtagsdinner, an das ich nicht so gern zurückdenke. Ich kam mir vor wie Pippi Langstrumpf am Ende von „Pippi in Taka-Tuka-Land“, wo Thomas und Annika aus dem Fenster gucken, um zu schauen, was ihre Nachbarin aus der Villa Kunterbunt macht. Pippi sitzt ganz alleine am Tisch, den Kopf in die Hände gestützt. Mit träumerischem Ausdruck starrt sie auf ein kleines, flackerndes Licht. Nur dass das bei mir eben keine Kerze, sondern ein TV-Festtagsdinner war.
Offensichtlich möchten aber die meisten Menschen an Weihnachten nicht alleine sein. Das ist auch der Grund, warum man sich beim Studentenjobservice zwar einen Weihnachtsmann ohne Engel, aber keinen Engel ohne Weihnachtsmann zur Bescherung bestellen kann. Als dieser Service noch neu war, hatten sich ein paar einsame Männer ihren persönlichen Engel zum Fest kaufen wollen. Die Engel fanden das mehr als unpassend, die Weihnachtsmänner behaupteten typischerweise, sie ließen eventuell im umgekehrten Fall mit sich reden.
Noch schlimmer sind Weihnachtsmottopartys, wie sie bevorzugt in kleineren Städten stattfinden. „Rock Around the Christmas Tree“ oder „Crazy Christmas“, wo Rockversionen von Weihnachtsliedern gespielt werden und schon nach fünf Minuten die spelunkigste, bier- und leutseligste Stimmung herrscht.
Es gibt überhaupt nur eine einzige Weihnachtsplatte, die man hören sollte, und die heißt „Jingle Cats“. Auf dieser Platte hat ein Spinner ein paar Katzen-miaus gesampelt und so in ein Keyboard geladen, dass für jeden Ton ein Miau in einer unterschiedlichen Tonlage ertönt. Und dann spielt der Spinner auf seinem Katzenkeyboard „Es ist ein Ros entsprungen“ und „Stille Nacht“, wobei er für das hohe C aus unerfindlichen Gründen kein Miau eingesampelt hat, sondern ein Geräusch, als ob die Katze gerade von einem Riesen mit den Händen zerquetscht wird. Bei meinem einsamen und trotzdem schönen Weihnachtsabend vor ein paar Jahren habe ich die Platte immer wieder gehört, bis meine tierlieben Nachbarn klingelten.
Wenn ich noch mal so ein einsames Weihnachten feiern sollte, dann werde ich mir ein paar Monate vorher ganz betrunken im Internet Geschenke, Äpfel, Nuss und Mandelkern bestellen und sie zu Heiligabend liefern lassen. Bis dahin habe ich das längst vergessen, und die Überraschung wird gelingen. Und wenn es allzu schlimm wird, kann ich mir immer noch einen netten Weihnachtsmann von der Uni borgen.
JENNI ZYLKA
Fragen zu Sex & Lügen kolumne@taz.de
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen