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Archiv-Artikel

jazzkolumne Protestsongs von Terry Callier

Manchmal würde er gern die Fernsehnachrichten abschaffen: Diese vielen schlechten Meldungen hält er nicht aus

Hoffnung sei von einem Regierungswechsel nicht zu erwarten, sagt er. Nicht für die Schwarzen, nicht für die Obdachlosen. In New York mag es vielleicht schick sein, sich gegen Bush zu engagieren, doch in Chicago werde man als Jazzmusiker gar nicht erst gefragt. Zu underdog, zu underground. Einen seiner neueren Songs, „Lament for the Late AD“, hat er Amadou Diallo gewidmet, einem Opfer der New Yorker Polizeiwillkür – 30 Kugeln feuerte man auf den unbewaffneten Mann ab. Dass Terry Callier auf der Bühne „cool“ ist im Sinne einer tiefen Widerstandshaltung angesichts widrigster Umstände, ist auf seiner CD „Alive“, aufgenommen im Londoner Jazz Café, sehr gut dokumentiert.

Zwischen „Alive“ und seiner ersten Langspielplatte, „Live At Mother Blues, 1964“ lagen 36 Jahre, in denen Callier als politisch engagierter Singer/Songwriter besonders sein Leben als Afroamerikaner beschrieben und besungen hat. Von „Drill Ye Tarriers“ und Nat Adderleys „Work Song“ mit dem Text von Oscar Brown Jr. bis zu „Darker Than A Shadow“ und „Turn This Mutha“ von seiner CD „Speak Your Peace“ – Callier thematisiert gesellschaftliche Diskriminierung, Armut und ökologische Probleme. Und er weist immer wieder darauf hin, dass diese Themen für einen afroamerikanischen Künstler nicht gerade karrierefördernd sind. In den USA habe man kaum ein Publikum, doch zum Glück sei die Situation in Europa anders. In Europa werde man akzeptiert und, was noch wichtiger ist, respektiert, sagt Callier.

Spiritualität und Emotionalität sind zwei Schlüsselwörter für den gläubigen Muslim, der an der Northside Chicagos aufwuchs, übrigens in derselben Nachbarschaft, wo auch Curtis Mayfield gelebt hat. Als Callier Mitte der Sechzigerjahre ein Konzert mit dem klassischen John Coltrane Quartett sah, war er zunächst völlig paralysiert angesichts der spirituellen Tiefe seines Sounds. Am folgenden Tag ging er dann auf Jobsuche, weil er nicht daran glaubte, jemals auch nur annähernd so besessen zu sein, wie John Coltrane, Jimmy Garrison, McCoy Tyner und Elvin Jones es damals waren. Heute hört er immer noch Coltrane und auch Ravi Shankar und bewundert die zeitlose Schönheit ihrer Aufnahmen, die ihn dazu inspiriert, seiner eigenen Ästhetik treu zu sein, die unabhängig von Moden und dem Streben nach schnellem Erfolg ist. In den Achtzigern stieg Callier aus dem Musikbusiness aus, um seine Tochter Saudiata aufzuziehen, in jenen Jahren arbeitete er zeitweilig als Programmierer an der University of Chicago. Als Callier dann 1997 sein Comeback mit „Time Peace“ gab, hatte auch der einstige Coltrane-Saxofonist Pharoah Sanders einen Gastauftritt. Für Terry Callier geht es heute ums schlichte Überleben. Musik, die zu viel Information, Inspiration und Kritik beinhalte, werde blockiert, so Callier, die Musikfirmen wollen keine Konsumenten, die ein höheres Niveau an Kommunikation fordern.

Manchmal würde er gern die Nachrichtensendungen im Fernsehen abschaffen, weil er meint, dass das Überangebot an schlechten Nachrichten einfach nicht zu ertragen ist. Dass der Rassismus nach dem 11. September im amerikanischen Alltag wieder sehr präsent sei, berichtet er, und zwar nicht nur wie gewohnt gegen Schwarze, sondern in einer sehr aggressiven Form besonders gegen arabisch aussehende Menschen. Vor dem 11. September habe jeder Bush loswerden wollen, danach war dann erst mal keine Rede mehr davon. Jeder wisse doch, dass der 11. September auch eine Antwort auf die Verbrechen war, die die USA in den letzten fünfzig Jahren begangen haben, sagt Callier – und darüber redet und singt er auch relativ regelmäßig im Chicagoer Jazzclub Green Mill. Er will die Menschen mit seinen Songs informieren. Und auf Kerry hätten die Schwarzen jedenfalls nicht gewartet.

Vor einigen Jahren sampelte die britische Acid-Jazz- und New-Soul-Szene Calliers Aufnahmen aus den Siebzigerjahren, „What Colour Is Love“ von 1973 wurde zum Klassiker. Anders als bei seinen Live-Auftritten sind bei Calliers Studioaufnahmen die Improvisationsparts sehr zurückgenommen. Das wurde besonders auf „Speak Your Peace“ deutlich, bei dem Callier auch mit jungen Musikern und Produzenten zusammenarbeitete. Hier sei er auf Menschen getroffen, die aus anderen Genres und aus einer anderen Zeit kommen, berichtet er. Sie würden seine alten Sachen auf ihre Weise interpretieren und ihn inspirieren, neue Dinge auszuprobieren. Und gemeinsam wäre dann die Bemühung, einen innovativen Sound zu kreieren ohne Kalkül und Kompromisse. Calliers originäre Melange aus Soul, Folk, Gospel und Jazz kam auf „Speak Your Peace“ sehr konstruktiv, und die Coverversionen von „Caravan Of Love“ und „Just My Imagination“ gaben seinen zeitgenössischen Protestsongs da einen traditionsstarken Rahmen.

Wenn „Speak Your Peace“ Calliers Kommentar zum 11. September war, ist seine neue CD „Lookin’ Out“, die in diesen Tagen erscheint, im Segment „Healing Force“ verortet. Paul Gilroy sprach diesbezüglich bei der Eröffnung der großen Black-Atlantic-Ausstellung im Berliner Haus der Kulturen der Welt von Ausdrucksformen, die die Geschichte des Leids, das die Sklaven und die vielen Generationen ihrer Nachfahren erlitten haben, auffangen, ihre Verluste beklagen, gegen ihr Unrecht protestieren und ihre Wunden heilen können. „Uplifting“ nennt Callier die Songs, die er jetzt schreibt, politisch war gestern.

CHRISTIAN BROECKING