jazzkolumne : Guter Free Jazz swingt
Der Berliner Pianist Alexander von Schlippenbach hat das Gesamtwerk von Thelonious Monk eingespielt
Vor vierzig Jahren probte er mit dem Gunter Hampel Quintett den musikalischen Aufstand und war bei den Aufnahmen zu „Heartplants“ dabei – die sozusagen deutsche Ära des Free Jazz begann. Seitdem zählt der Pianist und Komponist Alexander von Schlippenbach zu den Protagonisten dieser nicht zum sekundären Hören geeigneten Musik. Sein 1966 gegründetes Globe Unity Orchestra verband als Who-Is-Who-Formation die europäischen Jazzer, sein 1970 gegründetes Trio mit Evan Parker und Paul Lovens ist das langlebigste Improvisatorenkollektiv dieser Aufbruchsmusik. Schlippenbach ist tatsächlich noch einer der wenigen, die sich ungebrochen zum Free Jazz bekennen und immer skeptisch geblieben sind gegenüber so vagen Termini wie „frei improvisierte Musik“.
Nun war der Free Jazz ja einst vermittelt über musikalische Schockwirkung und revolutionären Impetus. Im kulturellen Kontext des postfaschistischen Nachkriegsdeutschlands erschienen Free Jazz gar als politische Musik und die Musiker als kulturrevolutionäre Vorhut – was sich auch auf die naheliegende Gleichung bringen ließ, Free Jazz sei links. Schlippenbach schluckt. Nun, er habe sich eigentlich nicht als Revolutionär und Schocker verstanden. Für ihn war der Free Jazz eine musikhistorische Notwendigkeit, vergleichbar etwa mit der Neuen Wiener Schule und Schönbergs Zwölftonmusik. Cecil Taylor und Ornette Coleman hatten vor ihm daran experimentiert, Colemans Platte „Free Jazz“ gab der Richtung damals den Namen. In Holland kümmerten sich damals fast zeitgleich Misha Mengelberg und Han Bennink, in England Evan Parker, Derek Bailey und Tony Oxley um die Entwicklung dieser neuen Musik. Er glaube wohl, durchaus auf der Höhe der Zeit und im Zentrum musikalischer Entwicklung zu stehen, sagt Schlippenbach. Natürlich nicht im Sinne des kommerziell erfolgreichen Jazz und dem ganzen Bullshit von Entertainment und Marketing, fügt er hinzu.
Die Politisierung des Jazz bewirkte, dass Musiker ihre Geschäfte in die eigenen Hände nahmen, dass Musikerkollektive wie die Berliner Free Music Production gegründet wurden, die eigene Konzertreihen und Festivals organisierten und von Marktkriterien weitgehend unabhängig auch Platten produzierten, die gemeinhin als unverkaufbar gelten. Problematisch erschien da eher eine gewisse Verselbständigung und Abkapselung von anderen Szenen, die Schlippenbach aber in seiner eigenen Arbeit auch immer zu überwinden suchte.
Seit 1970 wohnt der 1938 in Berlin geborene Musiker und Komponist wieder in seiner Heimatstadt. Für ihn ist diese Stadt natürlich voll lebhafter und obskurer Erinnerungen, besonders wenn er sich an die Mauersituation samt der ganzen Exotik, die der deutsch-deutsche Jazz darin aufzubieten hatte, erinnert. Dann erzählt er, wie man da in den Siebzigern – im Anschluss an die „Workshop Freie Musik“-Konzerte und gemeinsam mit dem obligatorischen Renommierausländer, da deutsch-deutsche Bands nicht erwünscht waren – die Friedrichstraße passierte, um dort im 2. Stock über der Melodie-Bar mit Petrowsky, Gumpert und den Bauer-Brüdern zu jammen. Oder später, als man durch die DDR tourte, in den besten Hotels wohnte und vor großem Publikum auftrat. Doch Free Jazz als Errungenschaft deutsch-segregierter Links-Kultur, als ostdeutsche Heimatmusik sozusagen, das ging auf Dauer nicht durch.
Die suggerierte Tradition und Autonomie eines von den afroamerikanischen Wurzeln angeblich emanzipierten europäischen oder deutschen Jazz hält Schlippenbach für ein äußerst fragwürdiges Konstrukt. Das Gerede von jener Befreiung halte er für einem verzweifelten Versuch, eine vermarktbare Identität zu erfinden. Deutsche Autonomie im Jazz sei eine Lebenslüge, absoluter Blödsinn.
Für ihn ist der afroamerikanische Jazzrevolutionär Thelonious Monk schon immer ein prägender Einfluss gewesen. Der 1982 verstorbene Pianist und Komponist habe ein Werk hinterlassen, das wie ein „erratischer Block“ in der Geschichte stehe – 59 Stücke zählt Schlippenbach zum „Gesamtwerk Monk“, das jetzt unter dem Titel „Monk’s Casino“ als 3-CD-Box beim Züricher Intakt-Label veröffentlicht worden ist (erhältlich über www.intaktrec.ch). Monk ist das Bindeglied von Schlippenbachs sehr unterschiedlichen Projekten, richtig schwärmen kann er vom „rhythmischen Drehmoment“ bei Monk, und hippe bunte Plakate ließ er drucken, um auf die Aufnahmen für „Monk’s Casino“ hinzuweisen, die vor einem Jahr im Berliner Jazzclub A-Trane stattfanden.
Für den Free Jazz ist neben dem Wissen um die Tradition die eigene Erfindung wichtig. Die allerdings sei nicht lehrbar. Jazzmusiker wie er sind Freiberufler, und er glaubt, dass er und seine Frau, die Pianistin Aki Takase, zu den wenigen gehören, die von ihrer Musik leben können. Reich werde man aber damit nicht, und wenn man vielleicht mal den monatlichen Durchschnittsverdienst eines Facharbeiters erreiche, sei ein Free Jazzer schon gut im Geschäft.
Free Jazz bezeichnet also eine Musik, die grundsätzlich offen ist. Zugegeben, Schönberg sagte, dass ein leerer Saal nicht gut klinge, und er irrte mit seiner Annahme, dass die Menschen heute seine Zwöftonmelodien auf der Straße pfeifen würden. Sicher sei eben, dass es eine permanente Revolution in der Musik nicht gebe, resümiert Schlippenbach. In diesem Sinne jedoch sei FreeJazz neu, unbequem und radikal. Es gebe noch viele Regeln zu brechen. Guter Free Jazz swingt – das sei die Message dieser Musik.CHRISTIAN BROECKING