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intershopWLADIMIR KAMINER über deutsche Nachrichten

Von Dschibuti nach Unkenpfuhle

Je länger ich für das ZDF-Morgenmagazin über ungewöhnliche Orte in der deutschen Hauptstadt berichtete, umso mehr sehnte ich mich nach positiven Nachrichten aus dem äußersten Ostberlin – um zu zeigen, dass nicht nur in Mitte oder in Charlottenburg, sondern auch in Hohenschönhausen manchmal das Leben brummt. Eines Tages stieß ich im Internet auf eine vielversprechende Nachricht: Die oberste Naturschutzbehörde der Senatsverwaltung hatte ein weiteres Stadtgebiet unter Naturschutz gestellt: die Unkenpfuhle in Hellersdorf.

Dort lebt, wer hätte das gedacht, seit Urzeiten schon die vom Aussterben bedrohte Rotbauchunke, zusammen mit der ebenfalls stark artengefährdeten Knoblauchkröte. In Spandau und Karow, Steglitz und Reinickendorf haben diese Lebewesen es nicht ausgehalten. Aber in Marzahn gibt es sie noch. Damit hat Berlin jetzt 33 Naturschutzgebiete!, berichtete die Behörde stolz. Ich habe mich über die Nachricht auch gefreut, wusste jedoch nicht, was eine Rotbauchunke ist bzw. wie so ein Tier aussieht. Kann man sie ohne Mikroskop finden? Lebt sie unter Wasser? Beißt sie?

Schnell fischte ich einige Bilder aus dem Internet. Die Rotbauchunke sowie ihre Freundin, die Knoblaukröte, erwiesen sich als sehr sympathische kleine Froschverwandte, die eine mit einem roten Bauch, die andere ohne. Genau das Richtige für das Morgenmagazin, dachte ich und stellte mir das Ganze so vor: Ich besorge mir einen Käscher, fahre zusammen mit dem Kameramann in die Unkenpfuhle, fange mir dort so ein Exemplar und halte es vor die Kamera. „Guten Morgen Deutschland! Alles ist in Ordnung!“ So einfach war es aber nicht. Zuerst weigerte sich die Naturschutzbehörde, uns eine Drehgenehmigung zu erteilen. Es sei zu gefährlich, allein in den Sumpf zu gehen, hieß es. „Wir würden ihnen gerne einen Wegweiser zuteilen, der ist zurzeit aber in der Weiterbildung.“ Nach langem Hin und Her fanden sie eine Lösung: Anstatt in Marzahn, durften wir in den Falkenberger Rieselfeldern in Lichtenberg drehen, dort gäbe es auch viele Kröten, meinte der Naturschutz. Egal ob Marzahn oder Lichtenberg, dachte ich, Hauptsache Sumpf. Dann war aber unser Kameramann plötzlich weg. Er bekam einen wichtigen Auftrag: Auf den sieben Schiffen der deutschen Marine-Patrouille sollte er für eine TV-Dokumentation die Matrosen bei der Arbeit filmen. Die Schiffe streiften gerade sinnlos in jemenitischen Gewässern herum, sie durften keine anderen Schiffe anhalten und wurden von allen vorbeikommenden verspottet. Die Offiziere meinten jedoch, es sei schon ein großer Sieg der Flotte, dass sie überhaupt in diesem Teil der Welt als eine Art Abschreckung für die Dummen patrouillieren dürfe.

In Dschibuti verließ unser Kameramann die deutsche Flotte, um von da aus zurück nach Berlin zu fliegen. Die gastfreundlichen Einwohner dort begrüßten die Deutschen mit großem Hallo und Heil-Hitler-Rufen. Auf dem Flughafen entschuldigte sich ein dschibutischer Sicherheitsbeamter, dass er so viele Fragen stellen und das Gepäck so lange durchwühlen muss. „Ich möchte meinen Job gut machen, verstehen Sie?“, erklärte er dem Kameramann. „So gut wie Gestapo. Bin ich gut?“, fragte er immer wieder. Auch die Heimreise hatte dann ihre Tücken: Der Flieger musste dreimal zwischenlanden.

Ich träumte von Fröschen und hatte schon beinahe die Hoffnung aufgegeben. Doch im April konnte es plötzlich losgehen. Ich besorgte mir einen Käscher, und wir fuhren los. Hoffentlich ist die Kröte noch nicht ausgestorben, dachte ich.

Hoffentlich wird sie nichts gegen die Kamera haben, dachte der Kameramann. Unsere Sorgen erwiesen sich jedoch als grundlos. Die Rotbauchunke war da, als hätte sie nur auf uns gewartet. Ich bin auch so weit – gab mir der Kameramann ein Zeichen. Ich holte meinen Käscher aus dem Auto und ging auf die Kröte zu. Die Rotbauchunke zeigte eine für Kröten erstaunliche Reaktion. Sie sprang blitzschnell in den Sumpf und kam nicht wieder hoch. Zwei volle Stunden riefen wir nach ihr, vergeblich. Was lange währt, wird niemals gut, dachte ich verzweifelt.

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