in fußballland : CHRISTOPH BIERMANN über unser aller „Sportschau“
Spießig, muffig, arrogant
Der blau-weiße Schal war ungefähr drei Meter lang, meine Mutter hatte ihn gestrickt, und am oberen Bildrand konnte man ihn deutlich im Fernsehen sehen. Kein Zweifel: Als die Wiederholung des Bochumer Treffers gegen den Hamburger SV gezeigt wurde, stürzte ich vom Sofa und zeigte begeistert auf den Bildschirm. Da war ich und ließ in Briefmarkengröße jubelnd den Schal zwischen den ausgestreckten Armen hin und her schwingen. Ein Stück von sich im Fernsehen zu sehen, das war damals, vor gut zweieinhalb Jahrzehnten, eine tolle Bestätigung dafür, dass es einen gab. Ganz anders als heute also, wo eigentlich jeder im Fernsehen ist und daher das Gegenteil gilt.
Als Fan des VfL Bochum von einer Kamera erfasst zu werden, war zudem eine besondere Rarität, denn in der „Sportschau“ der ARD waren Ende der Siebzigerjahre nur drei von neun Partien zu sehen (und selbstverständlich immer nur die öden Nullnulls statt des satten 4:3 anderswo). Im Stadion an der Castroper Straße wurden die Kameras sowieso nur dann aufgebaut, wenn die Großen aus München, Mönchengladbach, Hamburg oder Schalke beim VfL Bochum vorbeischauten. Das mag heute schwer vorstellbar sein, wo selbst Relegationsspiele zum Aufstieg in die dritte Liga live übertragen werden, war aber so und noch viel schlimmer.
In der „Sportschau“ oder auch der „guten alten Sportschau“, wie Harald Schmidt derzeit beharrlich spottet, wurden die Zuseher nämlich behandelt wie in einem Ostblock-Kaufhaus jener Tage. Man musste anstehen, wusste nicht, was es gibt, und vor den leeren Regalen standen missmutige Verkäufer. Mein Bruder Claus und ich hatten dabei auch schnell unseren Lieblingsfeind ausgemacht. Fritz Klein vom NDR war offensichtlich so wichtig, dass er es nicht mehr für notwendig hielt, sich ordentlich vorzubereiten. Wahrscheinlich war es ihm aber auch nur zuwider, zwischen Jürgen Köper, Michael Lameck oder Heinz-Werner Eggeling und anderen Bochumern unterscheiden zu müssen. Die hatten zwar auch damals schon Rückennummern und waren auch sonst prima zu erkennen, aber wer wollte es schon genau wissen. Klein jedenfalls nicht. So saßen Claus und ich vor dem Fernseher, verspotteten ihn, wenn er mal wieder alle durcheinander würfelte, und fanden ihn schließlich beim damaligen Schnöselsport Golf bestens aufgehoben, wo er sich nicht die Namen von irgendwelchen kickenden Proleten aus dem Ruhrgebiet merken musste.
Beharrlich waren die Moderatoren der „Sportschau“ auch nicht dazu in der Lage, die Ortsnamen Bochum und Duisburg richtig auszusprechen. Bei Bochum sprachen sie die Vokale möglichst kurz aus, als würden sie sich sonst den Mund schmutzig machen, während sie in Duisburg die ersten beiden Vokale einfach nicht zu einem „ü“ verschleifen mochten. Nun könnte man diese steinalten Beschwerden leicht unter der Rubrik beleidigtes Provinzlertum abbuchen (was es ja auch war), an der beklagten Haltung änderte sich in der „Sportschau“ jedoch auch später wenig, weshalb mir die populäre Sehnsucht nach ihr stets völlig unverständlich war und ein Musterbeispiel falschen Erinnerns.
Ich fand nie, dass es an der „Sportschau“ irgendetwas zu vermissen gab, sieht man einmal von der Abwesenheit von Werbepausen ab. Die „Sportschau“ war auch nie besser als „ran“, sie war nur anders blöd: spießig, muffig und arrogant, weil sie machen konnten, was sie wollten, und es keine Alternative gab. (Wobei hier gerne Dieter Adler, Ernst Huberty oder Fritz von Thurn und Taxis, der sich vor sehr vielen Jahren im Presseraum des Bochumer Ruhrstadions doch wirklich über den Heimverein erkundigte, ausgenommen seien.) Oder um es in Zeitungen zu übersetzen: Wenn „ran“ die Bild-Zeitung wurde, entsprach die „Sportschau“ dem Neuen Deutschland vor der Wende.
Unser alter Lieblingsfeind Fritz Klein stieg übrigens zum Sportkoordinator der ARD auf und gründete nach seinem Ausscheiden eine Agentur, die für Sat.1 das Team für „ran“ zusammenstellte, dessen geistiger Führer Reinhold Beckmann nun sein Wissen auch bei der wiederauferstandenen „Sportschau“ einbringt. Was doch eine Verschlingung ist, die ich früher selbst mit meinem Schal nicht hinbekommen hätte.
Fotohinweis: Christoph Biermann, 42, liebt Fußball und schreibt darüber